Als die ersten Menschen die Neue Welt erreichten, fanden sie alles vor, was sie brauchten: Nahrung und frisches Wasser, zudem Holz für Behausungen und Feuer. Über die Luft zum Atmen machte sich damals wohl niemand Gedanken.
Astronauten, ob weiblich oder männlich, sollten solche Überlegungen durchaus anstellen, bevor sie sich im All auf längere Reisen begeben. Die Grundbedürfnisse – Atmen, Trinken, Brennstoff und ein Dach über dem Kopf – sind im Weltraum nicht so leicht zu erfüllen. Fehlt auch nur eine dieser Komponenten, scheitert jede Mission. […]
Ein eisiger Schatz
Wasser stillt beileibe nicht nur den Durst, es ist ein enorm vielfältiger Stoff. Das Molekül H2O lässt sich elektrolytisch, also mithilfe von Strom, in Wasser- und Sauerstoff aufspalten. In Brennstoffzellen bilden die beiden Stoffe schon seit über 50 Jahren eine effektive Treibstoffkombination für Raketen: Auch die Ariane 5 fliegt so ins All.
Als 1972 die vorerst letzten Apollo-Astronauten den Mond verließen, galt der Erdtrabant noch als staubtrocken. Spätere Missionen fanden jedoch immer mehr Hinweise auf Wasser. 2009 ließ die Nasa eine ausgebrannte Raketenstufe in einen Krater am Südpol stürzen und untersuchte mit dem LCROSS-Satelliten die Zusammensetzung der riesigen Auswurfwolke – so gelang der direkte Nachweis von Wasser auf dem Mond (siehe Testgelände in P.M. 10/2020).
Dass die Nasa zukünftig am Mondsüdpol landen will, liegt vor allem an dessen geografischen Besonderheiten: Das Sonnenlicht trifft dort in einem sehr flachen Winkel auf die Mondoberfläche; die Krater der Meteoriteneinschläge liegen quasi ewig im Schatten. In den tiefen Mulden sinkt die Temperatur auf bis zu minus 248 Grad Celsius – sie gelten als die kältesten Orte im Sonnensystem. In diesen Kältefallen könnte Eis, das mit Kometen und Meteoriten auf den Mond kam, viele Millionen Jahre überdauern, ohne zu verdampfen. Mindestens 600 Millionen Tonnen Wassereis sollen in Kratern lagern.
Die Nasa plant in den 2020er-Jahren weitere Robotermissionen
Allerdings ist bisher nicht eindeutig geklärt, wie konzentriert das Wassereis vorliegt und in welcher Form – ob fein verteilt im Boden, schicht- oder brockenweise oder, deutlich schwerer zu erreichen, als Hydrat an Minerale gebunden. 2023 will die Nasa einen Rover auf dem Mond landen: Der knapp eine Tonne schwere »Viper« (für »Volatiles Investigating Polar Exploration Rover«) soll mit 0,8 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit am Südpol fahren und unter anderem einen Meter tief nach Eis bohren.
2023 soll der Rover »Viper« (hier ein Prototyp) am Mondsüdpol landen und in den schattigen Kratern Wasser aufspüren und untersuchen.
Ein Fund wäre dann nur ein Zwischenschritt zum Wassereis-Bergbau. Denn das steinharte Eis muss vom Regolith gesäubert werden – angesichts der Kälte in den Kratern verlangt dies außergewöhnlich belastbare Technik und Werkstoffe. Derzeit wird erwogen, das Wasser mit einer Kombination aus Infrarot- und Mikrowellen direkt aus dem Boden auszuheizen und den Dampf anschließend aufzufangen.
Weil aber die Energieversorgung in den dunklen Kratern problematisch ist, schlagen andere Forschungsteams vor, das Eis – sofern es fein verteilt ist – im ersten Schritt auszusieben. Das könnte Strom sparen, da beim späteren Erhitzen nur das Wassereis, nicht aber der Regolith erwärmt werden müsste. »Welches die beste Methode ist, hängt davon ab, wie konzentriert und hart das Eis ist«, sagt Sanders. »Sobald Viper Daten liefert, entscheiden wir uns für eine Vorgehensweise und erproben sie auf dem Mond.« Die Nasa plant deshalb in den 2020er-Jahren weitere Robotermissionen.
Aber selbst wenn das Eis an einigen Stellen in massiven Brocken vorläge, ließe sich daraus nicht einfach ein Tee kochen, schränkt Aidan Cowley ein, der am Europäischen Astronautenzentrum in Köln ISRU-Technologien entwickelt. »Das würde einen wahrscheinlich umbringen. Es handelt sich ja nicht um reines H2O. Es ist vermischt mit Sulfiden und organischen Molekülen.« Das Mondwasser müsste erst aufwendig gereinigt werden, um am Ende als Trinkwasser oder als Treibstoff zu dienen.
Luft aus Steinen
Atemgeräusche sind in Science-Fiction-Filmen häufig unnatürlich verstärkt, so wollen Regisseure den existenziellen Gegensatz spürbar machen, der im All zwischen dem Bedürfnis zu atmen und der Luftlosigkeit des Raums besteht.
Jeder Astronaut, jede Astronautin verbraucht am Tag etwa 0,8 Kilogramm Sauerstoff. Neben dem Wasser bietet sich auch der Regolith auf dem Boden als Quelle an: Insgesamt stecken in den Mineralen zu mehr als 40 Massenprozent Sauerstoff.
Der Haken: Es ist schwierig, an ihn heranzukommen, weil er als Silikat und Oxid chemisch gebunden vorliegt und energieaufwendig von den restlichen Elementen getrennt werden muss. Daher hat die Nasa inzwischen mehr als 20 Extraktionstechniken untersucht.
Als vielversprechend hat sich die carbothermische Reduktion erwiesen, bei der Sauerstoff von Metallen unter Hitze getrennt wird. Dazu schmolz ein Nasa-Team ein regolithähnliches Pulver per Laser bei über 1600 Grad Celsius auf. Zugesetztes Methan reagierte mit dem Sauerstoff und entzog ihn dem Regolith. Das entstandene Gas wurde dann getrennt, sodass letztlich reiner Sauerstoff vorlag. Zudem entstand Methan, das sich im Prozess wieder einsetzen lässt.
Mondfabrik könnte bis zu zehn Tonnen Sauerstoff im Jahr produzieren
»Damit lassen sich später etwa 10 Kilogramm Sauerstoff aus 100 Kilogramm Regolith lösen«, so Sanders. »Andere Methoden wie die Schmelzflusselektrolyse extrahieren sogar den gesamten Sauerstoff. Aber da ist die Schlacke noch schwer beherrschbar.« Sobald dies gelingt, könnte die eisen- und aluminiumreiche Schmelze als Baustoff für Landeplätze und Straßen dienen.
Die Sauerstoffextraktion wird laut Sanders gerade auf der Erde erprobt und könnte frühestens 2024 auf dem Mond getestet werden. Für den Erfolgsfall hat das Team von Sanders bereits eine Mondfabrik entworfen, die bis zu zehn Tonnen Sauerstoff im Jahr produzieren könnte.
Diese enorme Menge lässt erkennen, dass die zukünftigen Welteneroberer Sauerstoff nicht nur einatmen sollen. Er soll – wie schon das gewonnene Wasser – auch Raketentreibstoff liefern. Denn Sauerstoff nimmt in Treibstoffkombinationen den größten Massenanteil ein – beim Gemisch Wasserstoff/Sauerstoff macht er bis zu 88 Prozent des Gewichts aus. Allein in den Tanks der Mondfähre, mit der die Raumfahrenden die Heimreise antreten, müssen mehrere Tonnen Sauerstoff schwappen.
Auf dem Mars wiegt dieser Aspekt noch schwerer als auf dem Mond. Doch dort wurde vor Kurzem ein Meilenstein erreicht. Der im Februar gelandete Mars-Rover »Perseverance« führte auch ein Experiment namens »Moxie« durch. Im April produzierte es erstmals Sauerstoff – ein bedeutsamer Nachweis, dass solch eine Technologie prinzipiell funktioniert.
Etwa zwei Tonnen würden fürs Atmen benötigt
Dafür musste der Rover weder Wassereis noch Regolith abbauen. Der Rote Planet besitzt eine dünne Atmosphäre, die im Wesentlichen aus Kohlendioxid, CO2, besteht. Der Sauerstoff steckt also in einem Gas – das lässt sich viel einfacher verarbeiten als ein Feststoff. »Bäume machen das auch die ganze Zeit. Sie nehmen CO2 auf und atmen Sauerstoff aus«, so Michael Hecht vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der das Experiment leitet. »Wir haben quasi einen Baum gebaut, der in eine kleine Box passt.«
Beim ersten Versuch produzierte das autobatteriegroße Gerät gerade mal fünf Gramm Sauerstoff – immerhin genug, damit ein Mensch zehn Minuten atmen kann. Wenn aber in den späten 2030er-Jahren Menschen zum Mars fliegen, soll sie dort eine tonnenschwere Anlage erwarten, die zuvor über Monate langsam, aber stetig enorme Mengen Sauerstoff produziert hat.
Etwa zwei Tonnen würden fürs Atmen benötigt, der weitaus größere Teil soll in den Triebwerken des Moduls verbrennen, das die Astronauten und Astronautinnen wieder Richtung Erde bringt. Der dazu benötigte Tank wird rund 30 Tonnen Sauerstoff fassen – er wäre das schwerste Einzelteil, das zum Mars transportiert werden muss. »Falls wir nun den Sauerstoff schon auf dem Mars hätten«, so Hecht, »würde uns das einer Mission vielleicht eine Dekade näher bringen.«
(Text: Peter Michael Schneider)
Dies ist eine gekürzte Fassung. Der gesamte Artikel ist in der Ausgabe 08/2021 des P.M. Magazins erschienen.