Autorin: Caroline Ring
Tiere und Pflanzen, deren Verlust bereits betrauert wurde und die überraschend wiedergefunden werden, sind jedes Mal eine kleine Sensation. Sie lassen hoffen, dass die Anstrengungen im Kampf gegen das große Artensterben nicht vergeblich sind. Seit Menschen immer tiefer in abgeschiedene Lebensräume vordringen, treiben sie Tiere und Pflanzen, die dort vorkommen, an den Rand der Ausrottung. Wälder werden abgeholzt, Flüsse und Meere durch Abwasser vergiftet, weite Flächen durch Straßen zerschnitten. In den Tropen fangen und töten Wilderer Tiere als Trophäen oder um ihr Fleisch auf Märkten zu verkaufen.
Manchmal sind es Krankheiten oder Parasiten, die Arten zum Aussterben bringen. Meistens sind jedoch menschliche Eingriffe schuld. Ein Drittel aller bekannten Amphibienspezies, zwölf Prozent aller Vögel und 21 Prozent aller Säugetiere sind heute entweder ausgerottet oder vom Aussterben bedroht. Werden verlorene Arten wieder aufgespürt, scheint es, als lasse sich der Niedergang zumindest in Einzelfällen aufhalten.
Voeltzkow-Chamäleon (Furcifer voeltzkowi) / Ort: Madagaskar / Letzte Sichtung: 1913 / Wiederentdeckt: 2020 / Gefährdungsgrad: noch unbestimmt / Besonderheiten: Erwachsene Tiere leben wohl nur für die Dauer einer Regenzeit. Vermutlich fanden Forscher die Tiere erst jetzt, weil sie zuvor in der Trockenzeit suchten. Foto ©: Kathrin Glaw, SNSB
Mehr als 350 vermeintlich ausgestorbene Tierarten wurden in den vergangenen 130 Jahren wiederentdeckt. Manche waren nur ein paar Jahre lang von der Bildfläche verschwunden, andere mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Man nennt sie Lazarus-Arten – nach jenem Mann, den Jesus in der Bibel von den Toten erweckt. Zu den Lazarus-Arten der vergangenen Jahrzehnte gehört beispielsweise der flugunfähige Vogel Takahe aus Neuseeland, der etwa 50 Jahre lang als ausgestorben galt. Im Jahr 2020 wurde nach mehr als 100 Jahren das madagassische Voeltzkow-Chamäleon erneut gesichtet. Und Anfang März dieses Jahres machten gleich zwei Arten Schlagzeilen, die unverhofft wieder auftauchten. Die australische Wildbiene Pharohylaeus lactiferus war seit fast 100 Jahren verschollen; den Schwarzbrauen-Mausdrossling auf der Insel Borneo hatte sogar seit mehr als 170 Jahren kein Wissenschaftler mehr gesehen.
Mit einer »Most Wanted«-Liste auf der Suche nach potentiellen Lazarus-Arten
Manche dieser Erfolgsgeschichten sind das Ergebnis groß angelegter Suchaktionen von Naturschutzverbänden. 2009 etwa startete die Organisation Birdlife International weltweit den Versuch, den Beweis für die anhaltende Existenz von 47 Vogelarten zu erbringen, die seit bis zu 184 Jahren nicht gesehen wurden. 2010 rief Conservation International ein Programm ins Leben, um verlorene Frösche aufzuspüren. In 18 Ländern wurden Expeditionen gestartet, um Arten zu finden, die seit mindestens zehn Jahren nicht gesehen worden waren.
Die Organisation Global Wildlife Conservation führt eine »Most Wanted«-Liste mit 25 Arten, die weltweit als ausgestorben gelten, bei denen es jedoch die Chance einer Auferstehung gibt. Der erste Erfolg des Projekts: die Wiederentdeckung des Vietnam-Kantschils. Auch das Voeltzkow-Chamäleon und das Sengi standen auf der Liste und wären ohne gezielte Suche womöglich noch verschollen.
Somalisches Sengi (Galegeeska revoilii) / Ort: Somalia und Dschibuti / Letzte Sichtung: 1973 / Wiederentdeckt: 2019 / Gefährdungsgrad: ungenügende Datengrundlage / Besonderheiten: Über diese Elefantenspitzmaus ist nahezu nichts bekannt. 2019 beobachteten Biologen sie erstmals in freier Wildbahn. Foto ©: Steven Heritage, Duke University Lemur left
In den meisten Fällen ist die Datenlage vor der Wiederentdeckung dürftig – wie beim Sengi aus Somalia. In der Vergangenheit hatten mehrere Expeditionen erfolglos nach der Elefantenspitzmaus gefahndet. Dass das Sengi überhaupt existiert, wusste man bis zum Jahr 2019 lediglich aufgrund von 39 Exemplaren, die in Museen lagerten. Das letzte von ihnen war im Jahr 1973 gefangen worden.
Von 70 Prozent aller Säuger, die als ausgestorben gelten, sind weniger als fünf Sichtungen bekannt. Noch drastischer ist die Lage bei anderen Tieren. Zwei Drittel der Amphibien und 40 Prozent der Vögel hatten Biologen zuvor nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen: als die Tiere entdeckt und erstmals beschrieben wurden.
Wenn die Aufmerksamkeit zum Fluch wird
Banggai-Kardinalbarsch (Pterapogon kauderni) / Ort: Banggai-Inseln (Indonesien) / Letzte Sichtung: 1933 / Wiederentdeckt: 1992 / Gefährdungsgrad: gefährdet / Besonderheiten: Diese Art war nicht verschollen, sondern wurde nach ihrer Erstbeschreibung vergessen. Foto ©: Norbert Potensky/Wikipedia
Für manche Lazarus-Arten wird die menschliche Aufmerksamkeit zum Fluch. Der Banggai-Kardinalbarsch etwa wurde 1933 erstmals beschrieben, fast 60 Jahre lang vergessen und 1992 schließlich in einem kleinen Gebiet nahe der Insel Sulawesi wiederentdeckt. Schlagartig wurde der hübsche Fisch mit den schwarz-weißen Streifen zu einem beliebten Zierfisch.
Zehn Jahre nach seiner Wiederentdeckung gelangten im Monat rund 118 000 wild gefangene Exemplare in den Handel. Heute gilt er als gefährdet, seine Bestände schrumpfen. Womöglich wäre es besser gewesen, den Fundort der Fische zu ihrem Schutz nicht zu veröffentlichen, argumentieren die Forscher Erik Meijaard und Vincent Nijman von der University of Kent.
Dies ist eine gekürzte Fassung.
Den gesamten Artikel »Auferstanden von den Toten« können Sie in der Ausgabe 05/2021 des P.M. Magazins lesen.