Geduldig warten die Physiker – auf das nächste Beben des Universums. Eine kurze Erschütterung, die unseren Planeten für den Bruchteil einer Sekunde erzittern lässt. Ausgelöst von einer Welle, die seit Milliarden Jahren unterwegs ist und von den extremsten Objekten des Universums stammt: von Schwarzen Löchern.
Die Physiker auf ein Signal von LIGO – dem aktuell komplexesten und wichtigsten Projekt zur Erforschung von Schwarzen Löchern. Die Großanlage steht in den USA und hat in den vergangenen Jahren unseren Blick auf das Universum revolutioniert. Denn sie hat erstmals Gravitationswellen detektiert und Kollisionen von Schwarzen Löchern sichtbar gemacht. Nun, da die Champagnerflaschen ausgetrunken sind und der Nobelpreis gewonnen wurde, beginnt die eigentliche Arbeit von LIGO, dem „Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium“: die Erforschung des dunklen Teils unseres Universums.
Kollidieren Schwarze Löcher, breiten sich im Universum Gravitationswellen aus. Sie schütteln auch die Erde durch.
Schwarze Löcher, so hat LIGO gezeigt, sind keine Hirngespinste der Physiker. Sie existieren – und zwar erstaunlich häufig. Sie formen unser Universum, sogar unsere direkte kosmische Nachbarschaft. Vor allem aber zeigen die Giganten den Wissenschaftlern ihre Grenzen auf: Niemand weiß, was im Inneren eines Schwarzen Lochs passiert. Wer dieses Geheimnis lüftet, der öffnet die Tür zur Physik der Zukunft.
Als sich diese Tür im September 2015 zum ersten Mal einen Spalt weit öffnete, war Frank Ohme im Urlaub. „Viele Jahre hatten wir das Experiment vorbereitet“, erklärt der theoretische Physiker. „Als die letzten Tests gemacht wurden, wollte ich mir ein letztes Mal freinehmen.“ Doch kaum waren die beiden Gravitationswellendetektoren eingeschaltet, meldeten gleich beide eine Entdeckung. Ein Fehler? Eine Übung für den Ernstfall? „Zunächst nahm ich das Signal gar nicht ernst – es schien einfach zu perfekt zu sein. Erst als ich aus dem Urlaub zurückkehrte, realisierte ich nach Wochen: Das ist echt! Wir sind auf etwas ganz Großes gestoßen!“
Was hat LIGO beobachtet?
Die Aufgabe von Ohme und anderen Theoretikern war es herauszufinden, was genau LIGO da beobachtet hatte. Eine harte Nuss, denn schließlich hatte das gemessene Signal lediglich 0,2 Sekunden gedauert – und war äußerst schwach: Es hatte die Detektoren nur um den Bruchteil eines Atomkerndurchmessers in Schwingung versetzt. Doch die Experten konnten aus den Daten ein gigantisches Ereignis rekonstruieren: den finalen Tanz zweier Schwarzer Löcher. 1,4 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt umkreisten sie einander, Dutzende Male pro Sekunde, mit bis zu 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Sie näherten sich immer weiter an, bis sie nur noch 350 Kilometer voneinander entfernt waren. Dann stürzten sie ineinander, vereinigten sich zu einem einzigen großen Schwarzen Loch.
Die Verschmelzung war ein so gewaltiger Prozess, dass sie den Raum, das ganze Universum in Schwingung versetzte – diese wurde 1,4 Milliarden Jahre später von LIGO detektiert. Ein Meilenstein der Wissenschaft. Nie zuvor hatten Forscher Schwingungen des Raums, die Gravitationswellen, detektiert. Zudem lieferte die Messung den langersehnten Beweis, dass Schwarze Löcher wirklich existieren. Das galt zwar zuvor schon als wahrscheinlich, aber da diese Objekte „schwarz“ sind, lassen sie sich mit optischen Teleskopen nicht direkt beobachten. Mit LIGO erhielt die Menschheit die Möglichkeit, die Kolosse gleichsam zu hören.
Mit den Gravitationswellendetektoren können Forscher endlich den dunklen Teil des Universums untersuchen. Und tatsächlich wurden sie gleich bei der ersten Beobachtung überrascht: Schwarze Löcher mit dieser Masse wurden nicht erwartet – das eine war so schwer wie 30 Sonnen, das andere wie 36 Sonnen. Die Beobachtung blieb kein Einzelfall. Zwischen 2015 und 2017 stieß LIGO auf neun weitere Kollisionen von Schwarzen Löchern. Die mysteriösen Giganten sind offenbar so häufig im Universum, dass sie gar nicht so selten aufeinandertreffen.
Das Schwarze Loch im Film „Interstellar“ entstand unter der wissenschaftlichen Beratung des Nobelpreisträgers Kip Thorne. Auffällig an dieser Simulation ist die Akkretionsscheibe: Aufgrund der starken Raumkrümmung ist auch jener Teil der umkreisenden Materie zu sehen, der hinter dem Schwarzen Loch liegt.
Technologie aus Deutschland
Mittlerweile ist die Beobachtung von Schwarzen Löchern fast schon Normalität geworden. Frank Ohme ist immer noch dabei. „Ein Großteil der Technologie wurde in Deutschland entwickelt, etwa die Laser, aber auch die wichtigsten Analysegeräte und Modelle.“ Ohme und sein Team vom Albert-Einstein-Institut in Hannover simulieren, wie die Signale möglicher Kollisionen aussehen, um sie im Wust der Daten besser zu finden. Obwohl sie Supercomputer nutzen, dauern die Rechnungen bis zu acht Wochen – für eine einzige Simulation. Was allerdings das Team aus den Daten herauszulesen vermag, verblüfft – so lässt sich etwa die Historie der Schwarzen Löcher rekonstruieren: Zeigt der Drehimpuls beider Kolosse in die gleiche Richtung, sind sie wohl zusammen entstanden, andernfalls trafen sie zu fällig im All aufeinander.
Grundlage von Ohmes Berechnungen sind die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, jenem Opus magnum von Albert Einstein, mit dem er vor über 100 Jahren einen neuen Bauplan des Universums entwarf. Im November 1915 stellte Einstein in Berlin seine Ideen vor. Innerhalb von Wochen verbreiteten sie sich – sogar bis auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. An der Ostfront in Russland war damals Karl Schwarzschild stationiert. Der Direktor des Potsdamer Observatoriums war 1914 freiwillig in die Armee eingetreten, nun berechnete Schwarzschild als Leutnant Flugbahnen der Feldartillerie – und in seiner freien Zeit die Konsequenzen von Einsteins Theorie. Er stieß dabei auf jenes Phänomen, das später als Schwarzes Loch bekannt wurde.
Im Januar 1916 veröffentlichte er seine Berechnungen; nur vier Monate später starb er an einer Autoimmunerkrankung, womöglich verschlimmert durch den Fronteinsatz. Den Erfolg seiner Überlegungen erlebte Schwarzschild also nicht mehr. Doch was hatte er eigentlich entdeckt? Nach Einsteins Theorie lässt sich der Raum dehnen wie ein Gummiband, jeder Körper mit Masse verformt ihn. Durch diese Verformung werden die Bahnen anderer Körper beeinflusst; diese bewegen sich, als würden sie von der Masse angezogen – so erklärt Einstein das Phänomen der Gravitation.
Schwarzschilds Gleichungen
Schwarzschild berechnete nun einen Extremfall: Ist die Dichte eines Körpers unendlich groß, dann verformt er den Raum um sich herum so stark, dass nichts aus dieser Umgebung entweichen kann. Selbst Licht – das den Geschwindigkeitsrekord im Universum hält – kann einer so großen Masse nicht entfliehen. Solch ein Gebilde kann sich kein Mensch vorstellen, es ist äußerst komplex – und vierdimensional. Zur Veranschaulichung wird zuweilen so getan, als sei unser Universum flach wie das Sprungtuch eines Trampolins. Ein unendlich kleines und unendlich dichtes Objekt würde das Tuch trichterförmig verbeulen. Murmeln, am Rand des Trichters abgelegt, rollen in ihn hinein. Gibt man ihnen allerdings einen Extra-Impuls mit, können sie aus dem Trichter hinausrollen und seinem Bann entkommen. Doch je tiefer Objekte in den Trichter mit seinen immer steileren Wänden geraten, umso geringer wird ihre Chance, noch zu entkommen. Irgendwann können sich auch die schnellsten Objekte nicht mehr dem Gefälle widersetzen.
Schwarzschilds größter Triumph war, dass er die Größe eines Schwarzen Lochs berechnen konnte. Damit ist nicht die Ausdehnung der darin enthaltenen Materie gemeint (die ist laut Theorie unendlich klein und dicht), sondern jenes Gebiet um die Materie herum, aus der keine Information mehr nach draußen dringt. Schwarzschild erkannte also, dass das Schwarze Loch eine Außengrenze hat: jenen Ort, an dem die Krümmung des Raumes (oder: die Steigung des Trichters) so stark wird, dass selbst Licht sie nicht mehr überwindet.
Diese Grenze heißt „Ereignishorizont“, denn ein äußerer Beobachter kann nicht mehr in dieses Gebiet hineinschauen, um zu sehen, was darin passiert. Schon Schwarzschild erkannte, dass der Ereignishorizont allein von der Masse des Schwarzen Lochs abhängt, er wächst proportional mit ihr. Ließe sich ein Schwarzes Loch im All beobachten, dann sähe man keinen Trichter und auch kein Loch, sondern eine schwarze Kugel, deren Durchmesser dem Ereignishorizont entspricht.
Schwarze Löcher sind bizarre Objekte: Teile des Universums, die vom Rest vollkommen abgeschnitten sind, aus denen nichts nach außen dringt, in denen der Raum auf extreme Art gekrümmt ist. Lange Zeit galten sie bloß als mathematische Kuriosität einer schwer verständlichen Theorie. Dann kam Roger Penrose, einer der nun prämierten Nobelpreisträger, und zeigte in den 1960er und 1970ern, dass Einsteins Theorie die Existenz von Schwarzen Löchern fast schon erzwingt. Aus der mathematischen Kuriosität, an die kaum jemand glaubte, wurde nun ein hoch spannendes Forschungsfeld: Die Gemeinschaft der Physiker wollte diese Objekte endlich beobachten.
Ab den 1970ern stießen Astronomen auf immer mehr Phänomene, die sie nur durch solch ein extrem kompaktes und schweres Objekt erklären konnten. Heutzutage ist klar: Schwarze Löcher gibt es zuhauf da draußen. Auch in unserer Nähe. Denn der wohl für uns Menschen eindrücklichste Nachweis eines Schwarzen Lochs gelang in den 1990ern. Zwei Forschungsgruppen gelang unabhängig der Nachweis, dass in der Mitte unserer Milchstraße, 26 500 Lichtjahre von der Erde entfernt, ein Schwarzes Lochs existiert! Zwei der damals beteiligten Forscher waren der Deutsche Reinhard Genzel und die US-Amerikanerin Andrea Ghez – die beiden erhielten ebenfalls in diesem Jahr den Nobelpreis.
Doch was genau hatten sie damals beobachtet? Gigantische Mengen von Sternen und Gas wirbeln im Zentrum der Milchstraße um ein unsichtbares Objekt, gebannt durch eine gewaltige Kraft. Kommen Sterne dem Objekt zu nahe, werden sie aufgerieben. Das Objekt im Zentrum lässt sich zwar nicht beobachten, doch aus dem es umkreisenden Chaos lassen sich seine Eigenschaften bestimmen: Auf seiner geringen Größe, gerade mal ein paar Dutzend Sonnen groß, vereint es die Masse von 4,1 Millionen Sonnen. Solch ein extrem dichtes Objekt kann laut heutiger Theorien nur ein supermassereiches Schwarzes Loch sein. Sein offizieller Name: Sagittarius A* (der „*“ gehört zum Namen!)
In der Mitte sitzt ein Schwarzes Loch
Die Milchstraße ist kein Sonderfall: In der Mitte wohl jeder Galaxie sitzt ein Schwarzes Loch. Es bildet gleichsam einen Anker, es hält den Sternenhaufen zusammen. Ohne seine Schwerkraft könnten die Galaxien womöglich gar nicht existieren.
Und Sagittarius A* ist nicht allein in der Milchstraße: Um die 60 weitere, kleinere Schwarzen Löcher wurden bereits in unserer Heimatgalaxie entdeckt. 2018 rechnete ein Team um Chuck Hailey von der New Yorker Columbia University hoch, dass es womöglich gar 10 000 Schwarze Löcher in der Milchstraße gibt. Ein Grund zur Sorge ist das aber nicht: Sie wären immer noch viele Lichtjahre von uns entfernt, sonst hätten wir sie längst bemerkt. Zudem sind Schwarze Löcher keineswegs Monster, die alles in ihrer Nähe verschlingen: Ihre Schwerkraft ist nicht stärker als die von Sternen gleicher Masse. Um von einem Schwarzen Loch bedroht zu werden, muss man ihm schon sehr nahe kommen.
Wie entstanden all diese Schwarzen Löcher? Prinzipiell muss ein Körper unter die Größe seines Ereignishorizonts komprimiert werden, um zu einem Schwarzen Loch zu werden. Beispielsweise müsste die Masse der Sonne auf die Größe einer Kugel von sechs Kilometer Durchmesser gepresst werden, die Erde auf einen Durchmesser unter 1,7 Zentimeter. Unter normalen Umständen ist das unmöglich: Elektromagnetische Kräfte zwischen den Atomen verhindern, dass sich Materie so weit verdichtet. Doch unter extremen Bedingungen, wie im Urknall, ist dies anders.
Die bislang bekannten Schwarzen Löcher sind die Überreste ehemaliger Sterne. Wenn riesige Sterne, schwerer als 40 Sonnen, am Ende ihrer Lebenszeit ihre Energie verbrannt haben, fällt ihre Materie unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammen, sie verdichtet sich zu einem immer kleineren Klumpen, bis jene Größe unterschritten wird, die dem Ereignishorizont des Sterns entspricht. Von außen ist dann nur noch der Ereignishorizont zu sehen, im Inneren geht der Kollaps aber weiter: Die Überreste des Sterns verdichten sich immer weiter zu einem unendlich kleinen, unendlich dichten Objekt, einer „Singularität“, die den Raum unendlich stark krümmt. So weit die Theorie. „Physiker glauben aber nicht, dass so etwas Absurdes wie eine Singularität wirklich existiert. In einer endlichen Welt kann es nichts Unendliches geben“, erklärt Claus Kiefer, theoretischer Physiker an der Universität Köln. „An dieser Stelle bricht Einsteins Theorie zusammen.“
Obwohl also die Allgemeine Relativitätstheorie korrekt vorausgesagt hat, dass Schwarze Löcher existieren, kann die Theorie doch nicht das Innere von Schwarzen Löchern vollständig erklären. Die Relativitätstheorie zeigt, wie die Welt in großem Maßstab funktioniert: wie das Universum entstand, wie Gravitation funktioniert und wie Galaxien und Sterne sich bewegen. „Im Schwarzen Loch und im Urknall aber finden Prozesse auf kleinstem Raum statt“, erklärt Kiefer. „Diese Welt des Kleinen wird beschrieben durch eine andere Theorie: die Quantenmechanik.“ Es verwundert daher nicht, dass die Relativitätstheorie genau dort zu unsinnigen unendlichen Ergebnissen führt, wo sie in den Herrschaftsbereich der Quantentheorie vordringt. Diese wurde geschaffen, um zu erklären, wie Atome funktionieren, nicht aber kollabierende Sterne. „Im Inneren des Schwarzen Lochs treffen Relativitätstheorie und Quantenmechanik aufeinander – wir wissen bloß noch nicht, wie.“
Jede der beiden Theorien erklärt für sich einen großen Teil der Welt. Doch sie passen nicht zusammen. Die Quantenmechanik tut so, als gebe es keine Gravitation (diese ist zwischen Atomen vernachlässigbar), die Relativitätstheorie wiederum weiß nicht einmal, was ein Quant ist. Zudem ist das mathematische Grundgerüst beider Theorien vollkommen verschieden. Sie verstehen sich einfach nicht – als unterhielten sich zwei Menschen über vollkommen unterschiedliche Themen. In unterschiedlichen Sprachen. „Wir wollen beide Theorien zu einer neuen, fundamentaleren vereinen, einer Theorie der Quantengravitation“, sagt Kiefer, der selbst zu solchen Theorien forscht. „Schwarze Löcher spielen eine Schlüsselrolle auf der Suche nach der Quantengravitation.“
Doch wie wollen Forscher diese neue Physik entdecken, wenn keine Information dem Schwarzen Loch entflieht? Scheinbar droht den Wissenschaftlern das frustrierende Schicksal, dass sie vor einer Blackbox stehen und nie erfahren werden, was in ihr vor sich geht.
Die Hawking-Theorie
Dies wäre wohl das Ende der Geschichte, hätte nicht Stephen Hawking 1974 jene Theorie veröffentlicht, die ihn weltberühmt machte. Dem schon damals von der Motoneuron-Krankheit ALS gezeichneten Physiker gelang es, die Quantenmechanik immerhin auf den Ereignishorizont anzuwenden. Er entdeckte dabei, dass jedes Schwarze Loch eine Temperatur besitzen muss. Scheinbar eine Trivialität, schließlich besitzt jedes Ding im Universum irgendeine Temperatur. Doch was eine Temperatur hat, gibt Wärmestrahlung ab – das Schwarze Loch verliert also Energie! Und da Energie nach Einstein dasselbe ist wie Masse, werden Schwarze Löcher immer leichter und kleiner, solange sie nicht neue Materie aufsaugen, sie verdampfen also regelrecht.
„Hawking hat gezeigt: Schwarze Löcher sind nicht wirklich hundertprozentig schwarz. Sie strahlen!“, sagt Kiefer. Die Strahlung bildet sich am Ereignishorizont. Nach einem gängigen Gedankenmodell entstehen dort – wie überall im Vakuum des Weltalls – Teilchenpaare aus dem Nichts (P.M. 09/2018), die direkt wieder verschwinden. Fällt allerdings einer der Partner ins Schwarze Loch, bleibt der andere draußen und kann sich nicht mehr auflösen – er fliegt als Hawking-Strahlung davon.
Hawking schlug mit der von ihm prognostizierten Strahlung eine Brücke zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Das Schwarze Loch erwies sich als toller Kandidat, um das Zusammenspiel von Relativitätstheorie und Quantenmechanik zu erforschen. Und Hawking zeigte: Schwarze Löcher bilden keineswegs das Ende der kosmischen Nahrungskette – am Ende des Universums zerstrahlen sie in einem Meer aus Licht.
Allerdings ist die nach Hawking zu erwartende Strahlung bei den bekannten Schwarzen Löchern so schwach, dass sie sich bislang nicht beobachten ließ – weswegen dem 2018 verstorbenen Hawking auch der Nobelpreis versagt blieb. „Merkwürdigerweise ist ein Schwarzes Loch kälter, je größer es ist“, erklärt Kiefer. „Große Schwarze Löcher verdampfen nur sehr, sehr langsam. Solche wie im Inneren unserer Galaxis brauchen dazu 1084 Jahre.“ Im Vergleich: Das Universum ist erst blutjunge 1010 Jahre alt. Es lohnt sich also nicht, auf das Verdampfen der supermassereichen Schwarzen Löcher zu warten.
Simulation eines Schwarzen Lochs
Einige Forscher suchen daher nicht im All nach Hawking-Strahlung – sondern in ihrem Labor. Etwa der israelische Physiker Jeff Steinhauer: In seinem Labor am Technion in Haifa simulierte er 2016 ein Schwarzes Loch. „Ich war fasziniert von der Idee. Sieben Jahre arbeitete ich an dem Experiment“, erzählt Steinhauer. Es basiert auf einer Analogie: In gewisser Weise gleicht ein Schwarzes Loch einem Wasserfall, den ein Fisch hinaufschwimmen will. Egal wie sehr er sich anstrengt: Wenn das Wasser schneller fällt, als der Fisch im Wasser vorwärtskommt, reißen die Fluten den Fisch in die Tiefe. So ergeht es auch Licht im Schwarzen Loch, das durch die Krümmung des Raums schneller ins Schwarze Loch gezogen wird, als es sich ausbreiten kann.
Statt Fische im Wasser untersuchte Steinhauer Schallwellen, die sich in einem Fluid aus Rubidium-Atomen ausbreiteten. Damit keine Wärme das Experiment störte, wurde es auf gerade mal ein milliardstel Grad Kelvin abgekühlt, also fast bis zum absoluten Nullpunkt. „Innerhalb des Fluids schufen wir einen Bereich, in dem dieses langsamer als Schallgeschwindigkeit floss, und einen angrenzenden Bereich, in dem es schneller floss. Hier kamen die Schallwellen nicht mehr gegen den Strom an“, erklärt Steinhauer. „Die Grenze zwischen den Bereichen ähnelte dem Ereignishorizont.“ Und tatsächlich: An dieser Grenze beobachtete der Forscher Schallwellen, die von selbst entstanden und zu Hawkings Vorhersage passten. „Wir konnten zeigen, dass Hawkings Idee und seine Rechnungen vollkommen korrekt waren.“
Steinhauer konnte sogar nachweisen, dass sein künstliches Schwarzes Loch genau jene Temperatur besitzt, die Hawking berechnet hat. So nah wie Steinhauer kam noch niemand einem Schwarzen Loch. Allerdings sagt er selbst: „Ein Nachweis, dass Hawking-Strahlung auch bei Schwarzen Löchern im Universum auftritt, ist das immer noch nicht.“
Claus Kiefer aus Köln findet Steinhauers Experiment interessant, glaubt aber nicht, dass solche Analogie-Experimente das Geheimnis kosmischer Schwarzer Löcher lüften werden. Er hofft vielmehr, dass Astronomen doch noch Hinweise auf die Hawking-Strahlung finden. Sollten kurz nach dem Urknall kleine Schwarze Löcher entstanden sein, könnten sie mittlerweile verdampft sein – das Echo ihres Todes würde durchs Weltall hallen. Neue Teleskope sollten danach in Zukunft Ausschau halten.
Durch diese Echos ließe sich dann die Quantengravitation untersuchen. „Die Endphase der Verdampfung können wir im Rahmen der heutigen Physik nicht beschreiben“, erklärt Kiefer. „Wenn das Schwarze Loch schrumpft, wird irgendwann bedeutsam, was in seinem Inneren vor sich geht.“ Als würde das Schwarze Loch im Moment seines Todes für einen kurzen Moment den Schleier heben und sein Geheimnis preisgeben.
Frank Ohme vom LIGO-Experiment hofft, dass Gravitationswellendetektoren eines Tages Hinweise auf neue Physik finden. „Die Kollision zweier Schwarzer Löcher ist ein brutaler, hochdynamischer Prozess. Sie stellt Einsteins Theorie extrem auf die Probe.“ Er untersucht in seinen Simulationen daher auch Alternativen zur Relativitätstheorie. „Es gibt unzählige Theorien. Manche von ihnen sagen leichte Unterschiede im Ablauf der Kollisionen voraus.“ Doch noch liefert Einsteins Theorie stets die besseren Vorhersagen – auch nach über 100 Jahren.
Wenn die Detektoren sensitiver werden, so ließen sich, hofft Ohme, eines Tages feine Abweichungen zu Einsteins Theorie messen. Die Physiker müssten immer bessere Anlagen bauen, um jene Signale einzufangen, die das Universum Richtung Erde durchqueren. Denn die Zukunft der Physik ist bereits zu uns unterwegs.
Text: Martin Scheufens
Beim Tunguska-Ereignis im Jahr 1908 erschütterte eine riesen Explosion ein Gebiet in der sibirischen Taiga. Was geschehen ist, ist bis heute unklar. Es gibt sogar Theorien, dass es sich um ein kleines Schwarzes Loch handelte.