Wie schützen wir fremde Planeten vor irdischen Mikroben?

von
Mikroben im All
Foto: supamotion // Adobe Stock
Mit jeder Raumsonde reisen auch Mikroorganismen ins All. Wie verhindern man, dass sie andere lebensfreundliche Himmelskörper kontaminieren?

Als die Schwerlast­rakete Falcon Heavy der US-Firma SpaceX im Februar 2018 erstmals erfolgreich abhob, waren die Anhänger des Firmengründers Elon Musk begeistert. Er war in ihren Augen dem Ziel, den Mars zu kolonisieren, einen großen Schritt näher gekommen. Wissenschaftler der Raumfahrtbehörden Nasa und Esa waren weniger enthu­siastisch. Nicht weil sie ihm die mächtigste Rakete der Welt neideten, sondern weil Musk als Testlast – und als PR-Gag – einen Tesla-Sportwagen mit ins All geschickt hatte, der fortan um die Sonne kreisen und eng am Mars vorbeikreuzen würde. Die Experten und Expertinnen befürchteten, der Tesla könnte auf den Roten Planeten stürzen und ihn mit Mikroben und Keimen von der Erde konta­minieren. Denn an irdischen Dingen klebt Leben in Form von Mikroorganismen – auch an ­Musks Roadster. »Wir müssen ­alles dafür tun, dass nicht noch ein weiterer roter Tesla in den Orbit fliegt«, sagte Lisa Pratt von der Nasa nach dem Start. 

In dem Moment, in dem Menschen an einem Ort ­landen, verliert er seine Makel­losigkeit.

Lisa Pratt, Planetenschützerin der Nasa

Pratt ist bei der US-Raumfahrtbehörde zuständig für »Planetary Protection«, für Plane­tenschutz. Ihre Abteilung wacht darüber, dass keine Organismen von der Erde auf fremde Welten gelangen – und auch nicht von dort zu uns. »In dem Moment, in dem Menschen an einem Ort ­landen, verliert er seine Makel­losigkeit«, so Pratt in einem Podcast. Die Schutzwürdigkeit der Himmelskörper in unserem ­Sonnensystem erkannten Wissenschaftler bereits in der Anfangszeit der Raumfahrt. 1958 gründeten sie das Committee on Space Research (Cospar), den Ausschuss für Weltraumforschung, der selbst im Kalten Krieg eine wichtige Brücke zwischen Ost und West war. 

Seine Mitglieder haben inzwischen detaillierte Sicherheitsregeln für Raummissionen ausgearbeitet. 1967 schrieb schließlich der internationale Weltraumvertrag fest, dass bei der Erforschung von Himmelskörpern deren Kontamination zu vermeiden sei. 

Immer mehr Orte im Sonnensystem entpuppen sich als lebensfreundlich

Das Motiv der Wissenschaftler? Sie wollen unbedingt verhindern, ihr Forschungsobjekt von vornhe­rein zu verfälschen. »Wir investieren viel Zeit und Geld, um nach außerirdischem Leben zu suchen«, sagt Gerhard Kminek, oberster Planetenschützer der europäischen Raumfahrtagentur Esa. »Und deshalb wollen wir etwa auf dem Mars Leben ent­decken, das wirklich von dort stammt. Und nicht etwa Leben, das wir selbst von der Erde mitbringen.« Kminek und Kollegen sind seit der Jahrtausendwende zunehmend gefordert. Denn Wissenschaftler haben inzwischen immer neue Orte im Sonnensystem entdeckt, deren Bedingungen Leben zu ermöglichen scheinen; die habitabel, also bewohnbar sein könnten. So fand der ­Rover »Curiosity« deutliche Hinweise, dass auf dem Mars einst ein ähnlich lebensfreundliches Milieu wie auf der Erde herrschte.

 

Foto (C): Honeybee Robotics

 

Auf dem Jupiter-Eismond Europa soll in naher Zukunft eine Sonde nach Leben suchen – und möglichst keine blinden Passagiere mitbringen.

Die Missionen der Raumsonden »Galileo« zum Jupiter und »Cassini« zum Saturn zeigten, dass es womöglich noch vielversprechendere Himmelskörper in unserer kosmischen Nachbarschaft gibt. Allen voran die Eismonde Europa und Enceladus. Sie verfügen über etwas, das dem erstarrten Mars fehlt: Unmengen flüssigen Wassers. »Auf dem Mars suchen wir nach Nischen für gute Lebensbedingungen. Bei den Eismonden haben wir sie schon gefunden«, sagt Kminek. 

Bevor ein Raumfahrzeug ins All startet, sorgen Planetenschützer dafür, dass es so wenige Mi­kroorganismen mit sich trägt wie möglich. Das Problem: »Wir leben auf einem Planeten voller Leben«, sagt Kminek. Ein Gramm Gartenerde enthält durchschnittlich 25 Milliarden Keime, und in einem Kubikmeter Luft fliegen 2000 davon. Leben ist widerstandsfähig: Es findet sich in minus 20 Grad Celsius kalten Permafrostböden und in 110 Grad heißen Quellen. Sporen, eine Daseinsform von Bakterien und Pilzen, überstehen das Vakuum im Weltraum.

Je nach Mission sind die Schutzmaßnahmen gegen Mikroben unterschiedlich streng

Da die Bedingungen für ­Organismen im Sonnensystem sehr unterschiedlich sind, teilt der Weltraumforschungsausschuss Cospar Missionen in fünf Kategorien ein – abhängig davon, wie schützenswert eine fremde Welt und wie wahrscheinlich ein Kontakt mit ihr ist. 

In die ersten beiden Kategorien fallen Flüge, deren Ziele bei der Suche nach Leben keine Rolle spielen – etwa die glutheißen Planeten Venus und Merkur oder die Gasriesen Jupiter und Saturn. Solche Fälle bereiten den Planetenschützern wenig Sorgen. Soll eine Raumsonde aber auf dem Weg zu einem Gasplaneten einen seiner Eismonde oder den Mars um­runden, muss sie die zahlreichen Auflagen der Kategorie III er­füllen. Für die Nasa-Raumsonde »Europa Clipper«, die 2024 zum Jupitermond Europa starten und diesen aus dem Orbit studieren soll, müssen die Ingenieure ­sicherstellen, dass die Wahrscheinlichkeit, den Ozean unter dem Eispanzer zu kontaminieren, geringer ist als 1:10000. Dazu gilt es, alle Eventualitäten abzuschätzen – Sporenbelastung, Absturzgefahr, Geräteausfall. Und die Risiken dementsprechend zu reduzieren. 

Im Jupiter-System herrscht hohe Strahlung. Das ist quasi eine Gratis-Sterilisierung.

Gerhard Kminek, Planetenschützer der europäischen Raumfahrtagentur Esa

Geräte, die wie der im Februar auf dem Mars gelandete Rover »Perseverance«, fallen zunächst in die Kategorie IV. Wenn sie zudem, wie Perseverance, Material zur Erde zurückbringen sollen, in die Kategorie V. Auf den Lande­sonden dürfen dann nicht mehr als 300 Sporen pro Quadratmeter Oberfläche kleben – wenn sie besonders sensible Regionen ansteuern, noch deutlich weniger.

Diese strengsten Vorgaben werden wohl auch für jene Raumsonden gelten, die sich eines ­Tages durch den Eispanzer von Europa und Enceladus bis in den darunterliegenden Ozean bohren. Denn flüssiges Wasser alarmiert die Planetenschützer besonders. »Wenn ich etwas ­ungeplant auf den Mars transportiere, kann ich die Kontami­na­tion räumlich relativ gut einschränken, jedenfalls für einen gewissen Zeitraum«, so Kminek. »In einem flüssigen Medium ist es jedoch möglich, dass sie nach einiger Zeit überall ist.« Um die Schutzregeln einzuhalten, werden Planetenforscher zu Kammerjägern und bekämpfen Bakterien sowie Pilze mit einem Arsenal physikalischer und chemischer Methoden. Manchmal hilft die Natur auch selbst. »Im Jupiter-System herrscht hohe Strahlung«, sagt Kminek. »Das ist quasi eine Gratis-Sterilisation. Allerdings ist sie nur beschränkt wirksam, weil sie nicht alle Teile des Fahrzeugs erreicht, vor allem nicht die Elektronik.«

 

Foto (C): NASA/JPL-Caltech/MSSS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das nur einen Mikrometer große Bakte­rium Tersicoccus phoenicis wurde bislang nur in Reinräumen nachgewiesen, in denen Raumschiffe montiert werden – dort überstand der Mikro­organismus alle Desinfektionsprozeduren.

Montiert werden Raumsonden und Lander in Reinräumen, die zwar – was die Keimzahlen angeht – 10000-mal sauberer sind als jene der gewöhnlichen Luftfahrt. Trotzdem wird jedes Fahrzeugteil vor dem Start mit Des­infektionsmitteln abgewischt, in Vakuumkammern mit Wasserstoffperoxiddämpfen besprüht, mit UV-Licht bestrahlt und in Öfen bis auf 250 Grad ­Celsius erhitzt. 

Das Augenmerk der Planetenschützer richtet sich indes nicht nur darauf, die Himmelskörper da draußen sauber zu ­halten. Sie wollen auch das Einschleppen extraterrestrischer Lebewesen auf die Erde verhindern. Material von einem fremden Planeten sei eine potenzielle Bedrohung für das irdische Leben – was sich Science-Fic­tion-­Autoren in allerlei Horrorszenarien ausgemalt haben. 

Für die Folgemission des Mars-Rovers Perseverance wird daher die höchste Schutzkategorie gelten. Immerhin soll der Roboter in den kommenden Jahren Bodenproben ­erbohren und in kleinen Röhren an Sammelstellen deponieren. Ende der 2020er-Jahre soll eine andere Sonde sie auflesen und zur Erde bringen. Die Proben würden zwar versiegelt auf der Erde landen und sofort in ein Hochsicherheits­labor gebracht, so Kminek, aber: »Wir können nicht vollständig ausschließen, dass es Leben da­rin gibt und dass es ein Problem darstellen könnte. Bis man weiß, was man vor sich hat, werden wir diese Proben behandeln, als wären sie ein Problem.«

Sind Privatfirmen bereit, für Planetenschutz zu zahlen?

Noch mehr Arbeit wartet auf die Planetenschützer, wenn in den 2030er-Jahren womöglich Menschen auf dem Mars landen – und wieder zurückkommen. Auf dieses Ziel arbeiten auch private Raumfahrtunternehmen hin, ­allen voran SpaceX. Regelmäßig spricht Unternehmenschef Musk in den sozialen Medien von der Kolonisierung unseres Nach­barplaneten. 

Die staatlichen Raumfahrt­agenturen müssen die neuen Mitspieler davon überzeugen, wie wichtig die nicht ganz preiswerten Vorsichtsmaßnahmen sind. Kminek schätzt, dass der Planetenschutz einer Mission etwa so viel kostet wie eines der wissenschaftlichen Experimente an Bord des Raumfahrzeugs – also mehrere Millionen Euro. »Wir haben die beiden großen Raumfahrtunternehmen SpaceX und Blue Origin zu Veranstal­tungen eingeladen, bei denen wir Regeln besprechen«, so Kminek. »Die wissen also schon ganz gut Bescheid, was gemacht werden muss.« 

Allerdings ist zumindest fraglich, ob die Firmen das Know-­how umsetzen wollen. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass SpaceX einen bizarren Passus in die Geschäftsbedingungen seines Internet-­Satel­litennetzwerks Starlink eingefügt hat. 

Danach sollen SpaceX-Kunden für den Fall einer Besiedlung des Mars anerkennen, dass der Himmelskörper »ein freier Planet ist und dass keine irdische Regierung die Hoheitsgewalt hat, über Aktivitäten auf dem Mars zu bestimmen«. Laut Rechtsexperten widerspricht diese Position dem geltenden Weltraumvertrag, unter dessen Schutz auch der Mars steht. Musks Vorgehen zeugt davon, wie viel der Tech-Visionär von derlei Regeln hält.

(Text: Peter Schneider)

Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
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