Text: Joachim Telgenbüscher
Für jeden anderen wäre diese Burg uneinnehmbar. Doch Hasan Sabah, der Geheimagent eines geächteten Glaubens, ist guter Dinge, als er sich am 4. September 1090 auf einem Maultier reitend der Festung Alamut im nordiranischen Bergland nähert. Er weiß, dass seine Getreuen die Verteidiger längst unterwandert haben. Sie warten nur noch auf ihren Herrn – und auf den Befehl, endlich loszuschlagen.
Nachdem auch Sabah inkognito hineingelangt ist, reißt er das Kommando an sich. Den überrumpelten Burgherrn lässt er abziehen, ja er gibt ihm sogar einen Wechsel über 3000 Golddinar als Entschädigung mit, den er beim Gouverneur einlösen soll. Tatsächlich bekommt der Entmachtete die Summe ausgezahlt. Auch der Statthalter, so stellt sich heraus, ist insgeheim längst ein Anhänger jener verschworenen Glaubensbrüder, die fortan über Alamut herrschen. Die Christen werden später einen finsteren Namen für sie prägen, der bis heute in vielen Sprachen für „Meuchelmörder“ steht: Assassinen.
Wer wird Nachfolger des Propheten Mohammed?
Dabei sind ihre Lehren gar nicht brutal – aber die Zeiten, in denen sie leben, sind es umso mehr. Seit Langem schon wütet in der islamischen Welt ein Streit um die Nachfolge des Propheten Mohammed. Aus Sicht der Kalifen in Bagdad und der türkischen Seldschuken, die in ihrem Namen herrschen, stehen Sabah und seine Männer auf der falschen Seite. Sie sind Schiiten, die sich von der Mehrheit der Muslime, den Sunniten, losgesagt haben. Genauer gesagt zählen sie sogar zu einer weiteren Nebenlinie der Schiiten, den Ismailiten. Ihre Missionare agieren im Untergrund. Für die Sunniten sind sie Ketzer, die den Tod verdienen.
Und nun residiert einer von ihnen mitten im sunnitischen Machtbereich! Die Seldschuken rüsten zum Krieg. Sabah ist sich bewusst, dass seine Splittergruppe nur dann eine Chance hat, wenn es ihr gelingt, ihre Gegner mit gezielten Schlägen ins Chaos zu stürzen. Deshalb greift er am 13. Oktober 1092 zu einem Mittel, das die Ismailiten bislang verschmäht haben – zum politischen Mord. Sein erstes Opfer ist der einflussreiche Wesir Nizam al-Mulk.
Auf der Rückreise von Isfahan nach Bagdad, so berichtet ein Chronist, sei ein Knabe „scheinbar als Bittsteller oder Hilfeflehender“ an den Minister herangetreten „und traf ihn mit einem Dolch, den er bei sich hatte“. Ohne den klugen Politiker versinkt das Seldschuken-Reich bald in einem Bürgerkrieg, der den Männern von Alamut eine Atempause verschafft.
Hasan Sabah wird die Burg bis zu seinem Tod im Jahr 1124 nie mehr verlassen. Er muss es auch nicht. Sein langer Arm reicht auch so bis in die Feldlager seiner Feinde. Zu seinen Lebzeiten, schätzt man, verüben seine Häscher etwa 50 erfolgreiche Attentate. Generäle, Gouverneure, Richter, Beamte und Prediger – niemand ist sicher. Dabei stürzen sich die Mörder meist in Gruppen auf ihre Opfer. Am liebsten verüben sie ihre Taten am helllichten Tage. Alle sollen sehen, wozu die Geächteten im Stande sind.
Eine neue Macht: Die Kreuzfahrer
Nach und nach wachsen Ruf und Einfluss der Assassinen. Sie erobern weitere Burgen, nicht nur im Iran, sondern auch in Syrien, wo sie 1140/41 Masyaf erobern. Dort stoßen sie auf eine neue Macht: die Kreuzfahrer.
Die frommen Ritter sind von der mörderischen Sekte fasziniert. In deren Visier geraten sie jedoch nur selten, kämpft die schiitische Splittergruppe doch vor allem gegen ihre innerislamischen Feinde, besonders gegen den Sultan Saladin, der Ägypten und Syrien in seiner Hand vereint. Angeblich lebt er in so großer Angst vor Attentätern, dass er nachts in einem Turm schläft.
Nur in wenigen Fällen greifen die Häscher Christen an. 1152 wird Raimund II., Graf von Tripolis, von Assassinen ermordet. Vier Jahrzehnte später trifft es Konrad von Montferrat, den ungekrönten König von Jerusalem. Doch schon damals gibt es Gerüchte, dass in Wahrheit Konrads christliche Rivalen hinter dem Attentat stecken. Ein bekanntes Muster: Auch muslimische Machthaber kopieren bisweilen die Methoden der Assassinen, um Gegner aus dem Weg zu räumen und dann der Sekte die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Trotzdem blüht ihr Mythos nirgendwo so sehr wie unter den Christen. Schon Wilhelm von Tyrus, der Kanzler des Königreichs Jerusalem, berichtet um 1170 von der Gemeinschaft: „Die Unseren wie auch die Sarazenen nennen dieses Volk Assissini, ohne dass wir wissen, wovon dieser Name abgeleitet ist.“
Die Mongolen setzten den Assassinen ein Ende
Erst im frühen 19. Jahrhundert wird entdeckt, dass diese Bezeichnung – die Assassinen nannten sich selbst nie so – vom arabischen „al-Haschischiyya“ abstammt, was wiederum von „Haschisch“ kommt. Machten die Anführer der Sekte ihre Gefolgsleute also mit Drogen gefügig? Gaben sie ihnen damit einen Vorgeschmack auf das Paradies, das sie angeblich nach dem Märtyrertod erwartete? Mitnichten. Heute glauben Historiker, dass es sich bei der Bezeichnung nur um ein Schimpfwort handelte. Für die Mehrheit der Muslime waren die Assassinen schlicht „die Bekifften“. Ein verachtenswerter Pöbel.
Es sind die Mongolen, die der Epoche der Mordboten schließlich ein Ende setzen. 1252 erobern sie Alamut (die syrischen Burgen fallen an die ägyptischen Mamluken). In der Bibliothek der Assassinen finden die Invasoren nicht nur die Autobiografie von Hasan Sabah, sondern auch eine Liste aller Anschläge, die von der Gruppe in den Jahrhunderten zuvor verübt wurden – und ihren Mythos begründeten.
Der Text ist in P.M. History Ausgabe 05/2019 erschienen. Hier gelangen Sie zu den Heften.