Text: Manuel Opitz
Man hat sie verraten! Wochenlang haben sie ihre Flucht vorbereitet, doch jetzt droht ihr Plan zu scheitern. Wenn die 200 muskelgestählten Kelten, Germanen, Gallier und Makedonen überhaupt noch eine Chance haben wollen, müssen sie sofort ausbrechen. Die Männer stürmen die verqualmte Küche, schnappen sich eiserne Küchenmesser und Bratenspieße. Mit ihnen gehen sie auf die Wachen los. Am Ende entkommen 70 Rebellen in die Freiheit.
Sie laufen hinaus auf die Straßen von Capua, einer reichen Stadt, 170 Kilometer südlich von Rom, berühmt für ihre spektakulären Gladiatorenspiele, an denen sich die Bürger ergötzen. Die Flüchtigen scharen sich um ihre Anführer: Crixus, Oenomaus und – vor allem – Spartacus. Wie jetzt weiter?
Als Erstes überfällt die Truppe einen mit Waffen beladenen Pferdewagen, dann lassen die Männer Capua hinter sich. Und damit jene verhasste Kaserne, in der sie gedrillt wurden, in der sie Tag für Tag auf dem staubigen Übungsplatz trainierten. Wo sie in engen Zellen schliefen, widerlichen, aber nahrhaften Gerstenbrei essen mussten und stets den Tod vor Augen hatten. Endlich auf freiem Fuß, ziehen die Gladiatoren vorbei an Olivenhainen und Landgütern zum Vesuv, einen Tagesmarsch entfernt. Auf dem Vulkan, einer natürlichen Festung, verschanzen sie sich.
So beginnt im Jahr 73 v. Chr. ein Albtraum für Rom. Denn diese Horde entlaufener Sklaven wird die Republik in einen dreijährigen Krieg stürzen – und bald mit einem gewaltigen Heer auf die Ewige Stadt zumarschieren.
Spartacus – Gladiator und verklärter Freiheitsheld mit Charisma und Verstand
Der Bekannteste unter den Ausbrechern, Spartacus, ist heute ein Mythos, ein verklärter Freiheitsheld. Das liegt auch daran, dass wir nur wenig über die historische Figur Spartacus wissen. Wahrscheinlich stammte er aus Thrakien (heute in etwa Südbulgarien und der europäische Teil der Türkei). Wie er nach Italien gelangte, ist umstritten. Laut dem Chronisten Florus führte seine Laufbahn ihn „vom thrakischen Söldner zum Soldaten, vom Soldaten zum Deserteur, von dort zum Räuber und schließlich in Anerkennung seiner Kräfte zum Gladiator“. Anders stellt Appian den Thraker vor: als Soldat, der einst „bei den Römern gedient hatte, dann aber in Gefangenschaft geraten und als Gladiator verkauft worden war“.
Jedenfalls landete Spartacus in der Kaserne in Capua und traf dort auf seine Schicksalsgenossen. Ein bunter Haufen: Bei den Gladiatoren handelte es sich teils um Kriegsgefangene, teils um Freie, die Menschenjäger erbeutet und zu Geld gemacht hatten. Doch auch Abenteurer oder verarmte Arbeiter verdingten sich in der Hoffnung auf Ruhm und Reichtum in der Arena.
Spartacus, zwischen 30 und 40 Jahre alt, war weit mehr als ein durchtrainierter Hüne. Um den Haufen Gladiatoren zu vereinen, muss er auch Charisma besessen haben, dazu Überzeugungskraft und taktisches Geschick. Der Schriftsteller Plutarch präsentiert ihn als jemanden, „der auch durch Verstand und Güte besser war als sein Stand“.
Das Leben der Gladiatoren
Theoretisch erlangten unfreie Gladiatoren nach drei Jahren ihre Freiheit zurück. Im Laufe dieser Zeit bauten sich talentierte Kämpfer eine Fangemeinde auf und ließen sich wie heutige Sportstars umjubeln. Ein Gladiator prahlte auf einer Wandinschrift in Pompeji, er sei der „Seufzer der Mädchen“. Ein anderer ließ in seiner Grabinschrift verlauten: „An Ruhm unter Männern fehlte es mir nicht.“ Eine weitere Inschrift gedenkt eines Kämpfers namens Flamma, der 21 Siege errang. Allein: Die Chancen, so lange zu überleben, standen schlecht. Schätzungen zufolge endete jeder fünfte Kampf tödlich: nämlich dann, wenn die aufgewühlten Zuschauermassen lautstark „Töte ihn“ forderten (das vor allem durch Filme berühmt gewordene Zeichen „Daumen hoch oder runter“ kannten die Römer in Wahrheit nicht) und der Sieger dem unterlegenen Gegner den Todesstoß versetzte.
Die Stadt der Gladiatorenspiele: Das wohlhabende Capua in Kampanien, südlich von Rom, war ein Zentrum des Gladiatorenwesens. Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstand in Capua außerhalb der Stadtmauern ein 100 Meter langes Amphitheater, eines der ersten in der Römischen Republik überhaupt.
Kein Wunder, dass viele Gladiatoren ihre Situation als aussichtslos betrachteten. Der römische Philosoph Seneca berichtete im 1. Jahrhundert n. Chr. über das Schicksal eines germanischen Gladiators: Im Abort „stieß er sich das Holz, das zum Reinigen des Afters mit einem Schwamm versehen ist, tief in die Kehle und tötete sich.“ Senecas Fazit: „Vorzuziehen ist der schmutzigste Tod der saubersten Sklaverei!“
Mehr als 1,5 Millionen Sklaven waren Eigentum ihrer Herren
Rau ging es auch in der Kaserne zu, in der Spartacus trainierte. Laut Plutarch flohen die Gladiatoren wegen der „Ungerechtigkeit ihres Herrn, der sie gekauft hatte“, also weil sie sich schlecht behandelt fühlten. Eine Situation, die für unzählige Sklaven zutraf: Sie waren Eigentum ihrer Herren. Diese konnten ihre Untergebenen nach Gutdünken zu jeder Arbeit zwingen, sie missbrauchen und töten, verkaufen, fördern oder freilassen. Besonders grausam war Vedius Pollio (gestorben 15 v. Chr.), selbst Sohn eines Freigelassenen: Er ließ Sklaven, über die er sich geärgert hatte, seinen Muränen zum Fraß vorwerfen.
Zur Zeit des Kaisers Augustus schufteten allein in Italien und Sizilien – die Schätzungen schwanken – 1,5 Millionen Sklaven, etwa 15 Prozent der damaligen Bevölkerung (einige Experten rechnen sogar mit 40 Prozent). Ein Großteil von ihnen geriet nach militärischen Niederlagen in die Sklaverei. Vor allem im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr., als die Republik ihre Macht ausbaute, erbeuteten die Römer Abertausende gegnerische Kämpfer. Die größte Massenversklavung soll der Feldherr Lucius Aemilius Paullus veranlasst haben: 167 v. Chr. ließ er auf dem Balkan 150 000 Menschen als Sklaven verkaufen. Daneben verlegten sich Räuberbanden im Mittelmeerraum auf den Menschenhandel. Und dann gab es noch jene, die als Kinder von Sklaven von Geburt an unfrei waren. Kurz: Der Nachschub der „Ware Mensch“ schien unerschöpflich. Arbeit gab es genug: Sklaven schufteten in der Landwirtschaft, als Viehhirten, in Bergwerken, als Weber, als Prostituierte, im Straßenbau, als Sekretäre, als Hausdiener, Küchenpersonal und Rezitationskünstler in den Villen vornehmer Römer – oder eben als Gladiatoren.
Der Wunsch nach einem besseren Leben
Spartacus und seinen Gefährten geht es zunächst einfach nur darum, aus ihrer hoffnungslosen Lage zu entkommen. Doch kaum am Vesuv angelangt, entwickeln die Geschehnisse eine Eigendynamik, mit der die Flüchtigen nicht rechnen konnten. Spätestens als sie einen ersten, aus Capua entsandten Trupp niedermachen, spricht sich die Nachricht von den widerspenstigen Gladiatoren in der Umgebung herum. Jetzt erhalten die Rebellen Verstärkung „durch viele entlaufene Sklaven und auch durch einige Freigeborene vom Lande“, wie Appian erzählt. Mit Freigeborenen meint der antike Historiker: Kleinbauern und Tagelöhner, die in dieser Zeit zusehends verarmen, weil die römische Oberschicht riesige Landgüter aufgekauft hat, die von Sklaven bewirtschaftet werden. So entwickelt sich die Spartacus-Bewegung nicht nur zu einem Aufstand der im Wortsinn Entrechteten, sondern auch der Unzufriedenen. „Da Spartacus allen den gleichen Beuteanteil zukommen ließ, hatte er bald eine Menge Leute zusammen“, heißt es bei Appian. Rom, bislang untätig, muss handeln. Doch der Senat reagiert halbherzig, unterschätzt Spartacus kolossal, sendet nur 3000 Soldaten aus – und lernt nicht aus den Fehlern der Vergangenheit.
Denn der Aufstand des Spartacus ist keineswegs der erste Sklavenkrieg in der römischen Republik. Schon 136 v. Chr. erhoben sich auf Sizilien bis zu 70 000 Sklaven. Während des Krieges schwang sich der syrische Sklave Eunus gar zum König auf, ließ Münzen prägen und baute einen eigenen Hofstaat auf. Vier Jahre und neun Feldherren brauchte Rom, um die Revolte niederzuschlagen. Nur eine Generation später folgte der Zweite Sklavenkrieg auf Sizilien.
Beide Male waren Hirten- und Landarbeitersklaven die treibenden Kräfte. Sie fristeten ein besonders trostloses Dasein: Ihre Herren ließen sie teils anketten und sperrten sie nachts in unterirdischen Räumen ein. Auf eine Freilassung konnten sie kaum hoffen, da sie – im Gegensatz etwa zu Haussklaven – meist keine Vertrauensbeziehung zu ihrem Besitzer aufbauen konnten.
Bis zu 120 000 Anhänger folgen Spartacus auf seinem Raubzug
Doch 73 v. Chr. ist anders: Die Revolte bricht nun auf dem Festland aus, und diesmal führen kampferprobte Gladiatoren sie an. Spartacus erweist sich dabei als erfolgreicher Kommandant. Am Vesuv überlistet er die römischen Soldaten kurzerhand: Er überfällt deren Lager, schlägt sie in die Flucht und erbeutet auch noch deren Waffen. Eine Blamage für Rom. „Man muss auch noch die Schande ertragen, dass unsere Sklavenschaft auf dem italienischen Festland ihre Waffen gegen uns erhoben hat“, schimpft Florus.
Der Sieg beschert Spartacus noch mehr neue Anhänger, Appian zufolge zählt sein Heer bereits um die 70 000 Mann. In den nächsten drei Jahren zieht der Gladiator marodierend durchs Land – ohne dass ein römisches Heer ihn stoppen kann. Doch was ist sein Ziel? Die Sklaven über die Alpen in die Freiheit führen? Rom angreifen? Das Gesellschaftssystem stürzen? Hat er überhaupt einen Plan? Zunächst marschiert er mit seinen Leuten Richtung Alpen, eine Zukunft für sie kann es nur jenseits Italiens geben.
In Oberitalien stellen zwei eilig von Rom entsandte Konsuln ihn mit ihren Streitkräften, doch Spartacus schlägt beide nacheinander. Und macht dann einfach kehrt. Jetzt geht der Raubzug von Norden nach Süden weiter. „Weil er durch diese Siege übermütig geworden war, stellte er Überlegungen an, in Rom einzufallen“, meint Florus. Plutarch hingegen erklärt, dass die Rebellen schlicht nicht mehr auf Spartacus hören – und lieber weiter plündern wollen. Jedenfalls, so Appian, marschiert Spartacus nun „mit 120 000 Mann Fußvolk eiligst auf Rom“. Zwar fällt bald Crixus, einer der Sklavenführer, aber Spartacus rächt sich spektakulär: Bei dessen Bestattung zwingt er 300 römische Gefangene, gegeneinander um Leben und Tod zu kämpfen – ganz wie Gladiatoren. Während sie aufeinander einschlagen, stehen die Aufständischen, wie sonst die freien Bürger, johlend um sie herum. Was für eine Erniedrigung!
Endlich erkennt Rom die Gefahr
Auch wenn die Zahl von 120 000 Mann übertrieben sein dürfte – der Senat ist nun wirklich alarmiert. Zu Recht. Spartacus hat nicht nur immense wirtschaftliche Schäden angerichtet und das römische Heer bloßgestellt, sondern er bedroht jetzt auch Rom direkt. Der „schreckliche Krieg, über den man anfangs gelacht und als einen Gladiatorenkrieg nicht recht ernst genommen hatte“, wie Appian schreibt, geht schon ins dritte Jahr. Schließlich erhält Marcus Licinius Crassus den Auftrag, den Aufstand niederzuschlagen, ein berüchtigter Geschäftsmann, dem selbst ein Heer von Sklaven gehört: Crassus kauft in Rom in großem Stil abgebrannte und einsturzgefährdete Häuser zu Spottpreisen, lässt sie von seinen Untergebenen wieder herrichten und macht durch deren Verkauf ein Vermögen. Nach dem Spartacus-Aufstand verbündet er sich 60 v. Chr. mit Cäsar und Pompeius – zu jenem Dreierpakt, der Rom de facto regiert, bis Cäsar sich zum alleinigen Diktator aufschwingt.
Während Rom endlich die Gefahr erkennt, die von Spartacus ausgeht, überlegt der es sich anders: Er zieht nun doch nicht gegen die Metropole, sondern weiter Richtung Süden, „da er sich den Römern noch nicht gewachsen fühlte und längst nicht sein ganzes Heer regulär bewaffnet war“, schreibt Appian. Hinzu kam: „Keine einzige Stadt machte mit ihnen gemeinsame Sache.“ Damit meint der Geschichtsschreiber sicher auch die Sklaven in den Städten. Sie schlossen sich Spartacus nicht an, denn im Gegensatz zu ihren Leidensgenossen auf dem Land konnten sie auf Freiheit und das Bürgerrecht zumindest hoffen. Als Haushälter, Schreiber oder Erzieher standen sie in engem Kontakt zu ihren Herren – und warben um deren Gunst.
Tatsächlich machten viele Ex-Sklaven sogar Karriere: Der Nordafrikaner Publius Terentius Afer wurde von seinem Besitzer literarisch ausgebildet, später freigelassen und – neben Plautus – zum bedeutendsten Vertreter der römischen Komödie. Und Kaiser Augustus übertrug einem früheren Sklaven namens Licinus gar die Finanzverwaltung in Gallien. Die Stadtsklaven bleiben beim Spartacus-Aufstand also außen vor. Deshalb handelt es sich bei dem Krieg auch nicht etwa um eine vereinte Revolte des Sklavenstandes.
Wer kann Spartacus besiegen?
Die Römer setzen nun alles daran, Spartacus zu besiegen, kämpfen „mit allen Streitkräften des Reiches gegen den Gladiator“, wie Florus schreibt. Mit einem starken Heer drängt Crassus 71 v. Chr. Spartacus zum Südzipfel des italienischen Stiefels. Dort versucht der Rebell noch, nach Sizilien überzusetzen. Vielleicht schwebt ihm ein Sklavenstaat vor, wie ihn Eunus einst regiert hatte. Doch: Die bereits bezahlten Piraten, die die Flüchtigen auf die Insel bringen sollen, lassen Spartacus hängen. Der Versuch, eigene Boote zu bauen, schlägt fehl, er sitzt in der Falle.
Es kam zu einer großen und erbitterten Schlacht, wie es angesichts so vieler Tausender von Verzweifelten nicht anders zu erwarten war.
Appian (95 n. Chr. – 165 n. Chr.), römischer Geschichtsschreiber
Nach einer Reihe von Scharmützeln – mittlerweile ist sein Heer deutlich geschrumpft – stellt er sich am Fluss Silarus notgedrungen zur Entscheidungsschlacht gegen Crassus. Mindestens 60 000 Männer stehen sich gegenüber. Appian: „Es kam zu einer großen und erbitterten Schlacht, wie es angesichts so vieler Tausender von Verzweifelten nicht anders zu erwarten war.“ Letztlich haben die Rebellen gegenüber der römischen Übermacht keine Chance. „In vorderster Schlachtreihe, tapfer kämpfend, starb Spartacus wie ein Feldherr“, heißt es bei Florus. Ein Teil der überlebenden Kämpfer flüchtet – und läuft einem Heer in die Arme, das gerade von einem Feldzug aus Spanien zurückkommt.
Das Ende der Sklavenkriege
Wer während der Schlacht nicht gefallen ist, erleidet ein qualvolles Schicksal: 6000 Sklaven werden entlang der Via Appia gekreuzigt – ein abschreckendes Exempel und Roms deutliche Warnung an alle Aufsässigen.
Tatsächlich sollte der Spartacus-Aufstand der letzte Sklavenkrieg bleiben. Das liegt auch daran, dass sich das Geschäft mit den Sklaven in der Kaiserzeit änderte: Augustus setzte weniger auf aggressive Expansion als vielmehr auf defensive Sicherung des Imperiums – und damit entfielen die Massenversklavungen. Sklaven wurden knapper, in der Landwirtschaft setzten Großgrundbesitzer verstärkt Lohnarbeiter ein.
Der Kampf um Leben und Tod in den Arenen ging jedoch noch bis ins 5. Jahrhundert n. Chr. weiter. Auch wenn der Aufstand des Spartacus also weitgehend wirkungslos blieb, ist der Thraker bis heute eine der bekanntesten Persönlichkeiten der römischen Geschichte. Der Gladiator, der eine Weltmacht ins Wanken brachte.
Der Text ist in P.M. History Ausgabe 03/2019 erschienen.