Herr Fleitmann, wie kann ein »Steinzapfen« aus einer Höhle etwas über das Wetter verraten?
Stalagmiten sind eigentlich versteinerter Regen. Sprich: Der Regen an der Erdoberfläche fließt durch den Boden und gelangt somit in das Kalkgestein, bis er schließlich in der Höhle als Tropfwasser ankommt. Auf diesem Weg verändert das Wasser seine chemischen und physikalischen Eigenschaften, was wiederum von Klima- und Umweltbedingungen abhängig ist.
Zum Beispiel hat der Niederschlag ein bestimmtes Sauerstoffisotopenverhältnis, welches unter anderem von Niederschlagsmenge, Lufttemperatur und Herkunft abhängig ist. Diese Informationen sind im Stalagmiten gespeichert. Weiterhin hängt die Konzentration bestimmter Spurenelemente, zum Beispiel Magnesium, von der Verweildauer des Wassers im Kalkstein ab. Wenn es mehr regnet, fließt das Wasser schneller durch den Fels und nimmt auch weniger Magnesium auf.
Und was genau sagte der Stalagmit aus der Hoti-Höhle über das Klima im 6. Jahrhundert aus?
Er zeigt, dass die Winter- und Frühjahrsniederschläge während der vergangenen 2600 Jahre variierten. Auf der Sauerstoffisotopenkurve sticht jedoch ein besonderes Ereignis sofort ins Auge: Um circa 523 n. Chr. waren die Niederschläge besonders gering. Man könnte dieses Ereignis auch als Megadürre bezeichnen.
Zu keinem anderen Zeitpunkt war es für mehrere Jahre so trocken. Stützen weitere Zeugnisse die Daten?
Auch andere Klimaarchive aus dem Nahen Osten zeigen sehr trockene Klimabedingungen an, und mehrere historische Quellen berichten von längeren Dürren. Nomadische Stämme aus Arabien seien davor geflohen, um ihre Herden zu retten.
Es gibt also viele weitere Beweise für eine schwere Dürreperiode in weiten Teilen des Nahen Ostens. Was bewirkte die Dürre in Himyar?
Himyar war wesentlich von der Landwirtschaft abhängig. Die Bedeutung des Ackerbaus ist durch die vielen Bewässerungsdämme und terrassierten Felder im Hochland vom Jemen belegt. Durch eine zusätzliche Reduktion der Winter- und Frühjahrsniederschläge zu einer Zeit, als die Sommerniederschläge – der Monsun – schon ein absolutes Minimum erreicht hatten, brach die landwirtschaftliche Produktion dramatisch ein. Das wiederum führte zu Spannungen und Konflikten in Himyar, schwächte das Reich und ermöglichte es dem konkurrierenden Königreich von Aksum, Himyar zu erobern. Weitere Dürren und auch politische Entwicklungen wie der Krieg zwischen Ostrom und Persien trugen zum weiteren Niedergang des Landes bei. Am Ende verschwand Himyar und mit ihm seine Sprache und Schrift.
Warum konnte der Islam sich vor diesem Hintergrund in der Region ausbreiten?
Das ist nicht so schnell zu beantworten. Ich versuche mal, die wichtigsten Punkte zusammenzufassen: Erstens schuf der Untergang Himyars ein gesellschaftspolitisches Vakuum. Es gab nun nur noch viele einzelne Stämme. Der Islam gab diesen eine Möglichkeit, wieder eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Zweitens nahm in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, als Himyars Bedeutung verfiel, der Einfluss von Mekka zu. Die Stadt wurde zu einem wichtigeren Zentrum. Und das half Mohammed, seinen neuen Glauben zu verbreiten.
(Interview: Angelika Franz)
Der Interview ist in P.M. Schneller Schlau erschienen.