Autor: Peter Michael Schneider
Neun Monate währt diese einsame Reise durch die Dunkelheit des Alls. Das Ziel, auf das Dart zusteuert, nimmt die Sonde bloß als schwachen Lichtpunkt wahr. Erst eine Stunde vor der Ankunft erfasst ihre Kamera, dass das Ziel aus zwei Objekten besteht: dem Asteroiden Didymos, der in einer langen Bahn durchs Sonnensystem zieht. Und, kleiner daneben, Dimorphos, selbst ein Asteroid, der aber um den anderen kreist, in nur einem Kilometer Entfernung. Dart will nicht zum großen Brocken: Die Raumsonde visiert den Trabanten an.
Ein letztes Mal korrigiert Dart dann mithilfe seiner Instrumente seinen Kurs. Er rast geradewegs auf den Asteroidenmond zu, mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 000 Kilometern in der Stunde.
Vier Minuten bevor Dart den Himmelskörper erreicht, erfasst die Kamera erstmals die Gestalt von Dimorphos. Immer größer erscheint ab dann der Trabant im Blickfeld.
Doch selbst dann bremst Dart nicht ab, setzt nicht zu einer Landung an: Die Sonde befindet sich auf einem selbstmörderischen Kollisionskurs!
In ihren letzten Augenblicken sendet sie noch einige Bilder des Asteroiden. Dann schlägt das Raumfahrzeug mit voller Wucht auf ihm ein. Wenn der Funkkontakt abbricht, werden elf Millionen Kilometer entfernt auf der Erde Missionsanalysten und Ingenieurinnen in Jubel ausbrechen.
Ein Misserfolg von Dart wäre kein Drama
Durch den Aufprall soll Dart den Asteroiden von seiner Bahn ablenken. Schon eine minimale Kursänderung wäre ein großer Erfolg. Er würde die Hoffnung schüren, dass die Menschheit eines Tages die Erde und sich selbst vor potenziell tödlichen Gefahren aus dem All retten könnte.
Ein Misserfolg von Dart wäre kein Drama: Didymos und Dimorphos fliegen auf einer für die Erde völlig ungefährlichen Bahn. Allerdings kreuzen täglich Himmelskörper die Bahn unseres Planeten, meist unbemerkt. Sie sind so klein, dass sie als Meteore in der Atmosphäre verglühen oder unentdeckt als Meteoriten in menschenleere Gebiete fallen.
Je nach Größe können diese Himmelsbrocken verheerende Wirkung entfalten. „Asteroiden unter 50 Meter Durchmesser werden in der Atmosphäre abgebremst. In etwa 30 bis 10 Kilometer Höhe explodieren sie, weil atmosphärische Gase in Risse und Spalten eindringen und sich schlagartig ausdehnen“, erklärt Christian Köberl, Professor für Impaktforschung an der Universität Wien.
Asteroiden mit mehr als 50 Meter Durchmesser passieren fast ungebremst die Atmosphäre und schlagen mit kosmischen Geschwindigkeiten von bis zu 70 Kilometern in der Sekunde – 250 000 Kilometer in der Stunde – auf die Erdoberfläche. „Dringt so ein Körper in den Boden ein, verdampft er explosionsartig“, erklärt Köberl. „Wenn der eingedrückte Boden anschließend zurückschwingt, wirft er in nur wenigen Minuten einen Krater aus, der im Durchmesser bis zu 20-mal so groß sein kann wie der Einschlagkörper selbst.“ Ein Koloss von 100 Metern hätte das Potenzial, halb Deutschland zu verwüsten und Millionen Menschen zu töten.
Nicht aus der Ferne droht Gefahr, sondern aus der Nachbarschaft
Um jedoch den ganzen Planeten zu verwüsten, müssen Asteroiden noch größer sein – und einen verhängnisvollen Ort treffen. So wie der etwa zehn Kilometer große Dinosaurier-Killer, der vor 66 Millionen Jahren im Wasser vor der heutigen mexikanischen Halbinsel Yucatán einschlug. Mega-Tsunamis und Lavaregen verheerten den amerikanischen Kontinent. 30 000 Kubikkilometer Staub in der Atmosphäre verdunkelten jahrelang den Planeten; die Nahrungskette brach zusammen.
Doch erst was im Boden des Einschlagortes ruhte, führte zur globalen Katastrophe. „Der Asteroid traf Kalksteine und schwefelhaltige Salzablagerungen am Grund eines etwa 200 Meter tiefen Meeres“, erklärt Köberl. „Sie gelangten in die Atmosphäre und erzeugten sauren Regen. Der Einschlag setzte Kohlendioxid frei und verdampfte Unmengen Wasser: beides starke Treibhausgase. Die Erwärmung hielt sicherlich mehrere Hunderttausend Jahre an.“
Die Katastrophe rottete 70 Prozent aller Tier- undPflanzenarten aus, darunter die Dinosaurier, und läutete das Ende eines ganzen Erdzeitalters ein, wissenschaftlich eine recht gut gesicherte Erkenntnis, so Köberl.
Um die Apokalypse zu verhindern, suchen die großen Raumfahrtagenturen den Himmel nach gefährlichen Objekten ab. Denn nicht aus der Ferne droht Gefahr, sondern aus der Nachbarschaft: Die meisten Brocken, die uns gefährlich werden, umkreisen mit uns die Sonne und schrauben sich allmählich an unseren Planeten heran. Astronomieteams spüren sie auf, berechnen ihre Bahnen und sagen meist schon Jahre im Voraus, ob und wann sie auf der Erde einschlagen.
Wie sich Asteroiden abwehren ließen, will die Nasa nun erstmals im All erproben. „Dart“, der Name ihrer Sonde, steht für „Double Asteroid Redirection Test“ und bedeutet zugleich „Wurfpfeil“. Der 1,3 Meter große und 600 Kilogramm schwere Raumflugkörper soll mit der Gewalt eines Airbus 380 auf Dimorphos einschlagen.
Trotz der Wucht muss Dart präzise wie ein Pfeil fliegen, denn der Durchmesser von Dimorphos beträgt bloß 163 Meter – Dart soll also bei einer Geschwindigkeit von 20 000 Kilometern pro Stunde ein Objekt treffen, das nur halb so groß ist wie der Eiffelturm.
Ermöglichen soll dies eine eigens entwickelte intelligente Navigationssoftware, die die Sonde ins Schwarze manövriert. „Wir haben ausgerechnet, dass wir mit wenigstens 95 Prozent Wahrscheinlichkeit treffen, sonst würden wir gar nicht starten“, sagt die leitende Dart-Ingenieurin Elena Adams. „Bei Simulationen am Boden haben wir sogar 100 Prozent erreicht.“
Dart soll Dimorphos’ Umlaufgeschwindigkeit minimal verändern
Dass die Nasa nicht einen allein fliegenden Asteroiden anvisiert, sondern einen, der um einen größeren kreist, hat zunächst Sicherheitsgründe. „Die Umlaufbahn des Hauptasteroiden um die Sonne wird durch den Einschlag von Dart nicht verändert“, erklärt Adams. Die Sonde kann also das Doppelsystem nicht versehentlich auf einen Kollisionskurs mit der Erde schubsen.
Außerdem: Würde Dart einen Asteroiden anstoßen, der um die Sonne kreist, ließen die Ergebnisse des Experiments lange auf sich warten. Didymos etwa braucht 2,1 Jahre für seine Runde – diese Zeit müsste vergehen, bis sich in seiner Bahn die winzige Auswirkung des Treffers zeigte. Anders bei Dimorphos: Er kreist zweimal täglich um Didymos. Schon nach wenigen Umrundungen werden sich Unwuchten in seiner Bahn offenbaren.
Dart soll den Trabanten nicht aus seiner Umlaufbahn kicken: Er soll bloß Dimorphos’ Umlaufgeschwindigkeit minimal verändern, um einen halben Millimeter pro Sekunde. Wenn die Nasa zum ersten Mal einen Asteroiden angreift, geht es ihr nicht um Spektakel und Wumms, sondern um Kontrolle und Präzision.
Vor dem Aufschlag benötigt Dimorphos 11,92 Stunden für eine Runde. „Die Sonde wird den Mond entgegen seiner Umlaufbahn treffen“, so Ingenieurin Adams. „Sie nimmt ihm also einen Teil seines Schwungs. Dabei fällt Dimorphos in eine tiefere und damit schnellere Bahn. Seine Umlaufzeit ist dann um etwa zehn Minuten kürzer.“
Kein Raumfahrzeug wird vor Ort nachmessen, ob die Mission erfolgreich gewesen ist
Naturgemäß kann Dart seinen eigenen Einschlag nicht filmen, deshalb fliegt ein kleiner Satellit huckepack auf Dart mit. Der aus Italien stammende, 14 Kilogramm leichte „Liciacube“ wird sich kurz vor dem Aufprall von der Muttersonde lösen, um das Ende von Dart zu fotografieren – anschließend verschwindet er in den Weiten des Alls.
Kein Raumfahrzeug wird vor Ort nachmessen, ob die Mission erfolgreich gewesen ist. Und auch von der Erde aus lässt sich das nicht direkt sehen: Wenn die Sonde zwischen September und Oktober 2022 bei Didymos ankommt, ist das Doppelsystem zwar nur elf Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Doch erkennen lässt sich höchstens die Staubwolke, die der Einschlag aufwirbelt.
Nun zeigt sich aber der große Vorteil, ein Doppelsystem zu attackieren: Auch wenn die beiden Brocken von der Erde aus kaum sichtbar sind, lässt sich doch die Zeit bestimmen, in der der Trabant den Hauptasteroiden umkreist.
„Dafür messen wir die Lichtkurve von Didymos“, sagt Adams. „Dessen Licht wird jedes Mal schwächer, wenn der Trabant vor ihm vorbeizieht.“ Ob Dart die Umlaufzeit von Dimorphos wie gewünscht verkürzt hat, werden irdische Teleskope nach wenigen Tagen offenbaren.
Fünf Jahre hat es gedauert, Dart zu bauen
163 Meter misst Dimorphos – im Ernstfall müssten wir in der Lage sein, solch einen Brocken abzuwehren, dann aber mit deutlich mehr Einschlagkraft. Elena Adams ist jedoch optimistisch, dass Sonden im Ernstfall auch solche gefährlichen Asteroiden abwehren können.
Für eine wirksame Kollision ist neben hoher Geschwindigkeit vor allem viel Masse nötig. Je größer ein Asteroid ist, umso mehr muss auch eine Sonde wiegen. „Dart ist die erste Mission, die ich kenne, bei der ein Raumfahrzeug schwer sein sollte. Normalerweise zählt in der Raumfahrt jedes Gramm Gewichtsreduktion“, sagt Adams.
Allerdings ist die Masse einer Sonde wie Dart im Verhältnis zur Masse eines Hunderte Meter großen Gesteinsbrockens immer noch äußerst gering – ihr Aufprall kann dessen Kurs nur geringfügig verändern. Eine wichtige Rolle bei der planetaren Verteidigung spielt daher der Faktor Zeit: Trifft eine Sonde einen Asteroiden, Jahre bevor er gefährlich wird, kann schon eine minimale Kursänderung reichen, damit er später weit an der Erde vorbeifliegt.
Zeit ist jedoch ein rares Gut. Fünf Jahre hat es gedauert, Dart zu bauen. Im Ernstfall – für die Esa wäre das beispielsweise ein auf die Erde zufliegender Asteroid ab 50 Meter Größe – ließe sich eine Sonde laut Adams auch deutlich schneller losschicken, aber selbst das könnte knapp werden.
NASA/Johns Hopkins APL/Ed WhitmanJuli 2021: Das Dart-Team führt letzte Test an den einzelnen Bestandteilen ihrer Sonde durch. Ob ihre Mission wirklich glückt, wissen die Ingenieurinnen und Ingenieure aber frühestens im Oktober 2022
Welche Alternative es im Notfall gäbe, erklärt Detlef Koschny, Leiter des Planetary Defence Office der Esa. Das europäische „Büro zur Planetenverteidigung“ arbeitet bei der Asteroidenabwehr eng mit der Nasa zusammen. „Wir diskutieren, schon fertige Sonden zweckzuentfremden, etwa eine eigentlich zur Forschung bestimmte Sonde auf der Startrampe in Richtung eines Asteroiden zu schießen.“ Die Sonde würde geopfert, zur Rettung der Menschheit. „Die Bahnen dafür lassen sich rasch berechnen.“ Die Weltraumorganisationen schließen hingegen aus, Sonden vorsorglich im All zu stationieren – zu teuer. Und vorhandene Satelliten im Erdorbit haben zu wenig Treibstoff, um sich in eine Abwehrschlacht zu stürzen.
Am Ende entscheiden die Größe eines Asteroiden sowie der voraussichtliche Einschlagtermin, wie aufwendig eine Abwehrmission abliefe – und was sie kostet. „Wenn ich ein 50 Meter großes Objekt ablenken will, das erst in 30 Jahren auf die Erde trifft, kann ich das für 200 bis 300 Millionen Euro machen“, schätzt Koschny. Das ist in etwa der Betrag, den die Dart-Mission kostet, umgerechnet knapp 260 Millionen Euro. „Wenn wir aber einen Asteroiden von 150 Meter Größe innerhalb weniger Jahren abwehren wollen, reden wir von ein paar Milliarden.“ Und die Raumfahrtagenturen würden wohl zur Sicherheit gleich mehrere Sonden starten. Das gilt umso mehr, je größer der Asteroid ist. „Mit einer Sonde wie Dart ließe sich Didymos nicht entscheidend ablenken“, sagt Koschny. Dafür ist seine Masse viel zu groß. „Aber wenn wir 50 Satelliten darauf schießen, dann können wir ihn bewegen.“
Schon kleine Geschosse aus dem All können Tod und Elend bringen
Aber auch schon weit kleinere Geschosse aus dem All können Tod und Elend bringen. Heutzutage wäre es ein glücklicher Zufall, wenn sie unbewohntes Gebiet träfen. Wäre der etwa 50 Meter große Tunguska-Asteroid 1908 nicht in Sibirien, sondern in Tokio eingeschlagen, wären nicht auf 2000 unbewohnten Quadratkilometern die Bäume abgeknickt, sondern Millionen Menschen gestorben, so eine Nasa-Studie. Weil ein Einschlag gleich sehr viele Menschen töten würde, schätzte die Nasa 2003 die rechnerische Wahrscheinlichkeit für Einwohner der USA, durch einen Asteroiden umzukommen, ähnlich groß ein wie die, bei einem Flugzeugabsturz zu sterben – jeweils 1 : 20 000.
Vor allem der Asteroidengürtel birgt für uns tödliche Gefahr. Dort, zwischen Mars und Jupiter, fliegen Millionen Brocken um die Sonne. Die enorme Schwerkraft von Jupiter schmeißt regelmäßig einige aus ihrer Bahn. Geraten sie allmählich auf Umlaufbahnen, die den Weg der Erde kreuzen, gelten sie als erdnahe Objekte oder NEOs, Near-Earth Objects. Zusammen mit den eher seltenen erdnahen Kometen – mit Gestein durchsetzte Eisbrocken – sind es diese Himmelskörper, die Planetenschützern Sorgen bereiten.
Deren Waffen: bessere Teleskope und computergestützte Himmelsdurchmusterung. „Im Moment entdecken wir im Durchschnitt jede Nacht ungefähr sieben neue erdnahe Objekte“, so Esa-Asteroidenjäger Koschny. „Nicht weil sie neu entstanden sind, sondern weil wir sie vorher noch nicht gesehen haben.“ Bisher sind mehr als 25 000 erdnahe Objekte bekannt, darunter knapp 10 000 mit einem Durchmesser von mehr als 140 Metern und 900, die größer sind als einen Kilometer.
„Ich denke, wir kennen alle NEOs, die einen Kilometer und größer sind“, sagt Koschny. „Doch je kleiner sie sind, desto weniger kennen wir. Von den etwa 20 Meter großen Objekten sind vielleicht nur ein halbes Prozent bekannt.“
Erstmals wappnet sich die Menschheit gegen die Bedrohung aus dem All
Dennoch lasse sich das Risiko eines Einschlags grob abschätzen: „Die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags ist direkt an die Größe des Objekts geknüpft. Das Gute: je größer, desto seltener passiert es“, sagt Koschny. „Kleine 20-Meter-Asteroiden wie der von Tscheljabinsk fallen durchschnittlich alle paar Dekaden auf die Erde. Wenn das über dem Südpazifik passiert, bemerkt es vielleicht niemand. Größere Objekte von etwa 40 Metern schlagen alle paar Hundert Jahre ein, 70 bis 80 Meter große vielleicht alle paar Tausend Jahre. Und so sinkt die Gefahr exponentiell.“
Die Esa führt eine Liste mit über 1000 erdnahen Asteroiden, gestaffelt nach dem Palermo-Faktor, einer Kombination aus Größe, Annäherungsjahr und Einschlagrisiko. Zur Beruhigung: Bis auf einen sind alle Asteroiden, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als 1 : 100 000 einschlagen, kleiner als 50 Meter. Ein Planetenkiller hingegen, ein Himmelskörper, der aller Zivilisation auf der Erde ein Ende bereitet, scheint im Sonnensystem nicht umherzuschwirren. „Ich will das nicht zu 100 Prozent ausschließen“, sagt Koschny. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass noch etwas Großes kommt, das wir noch nicht gesehen haben.“
Erstmals in ihrer Geschichte wappnet sich die Menschheit gegen die Bedrohung aus dem All. Und mit Dart erprobt sie erstmals ihr Abwehrarsenal. Doch bis alle gefährlichen Objekte erkannt sind und sich Asteroiden effektiv ablenken lassen, werden wohl noch viele Jahre vergehen.
2024 startet auch die Esa eine Mission zu Didymos und Dimorphos. Die Erkundungssonde „Hera“ soll vor Ort feststellen, woraus der Asteroid genau besteht, wie der Einschlagkrater von Dart aussieht und ob die irdischen Berechnungen mit der Realität übereinstimmen. Die Ironie: Ursprünglich hatte die Esa vor, Hera zusammen mit Dart auf die Reise zu schicken, das hätte ein paar Jahre gespart. Doch die europäische Raumfahrtpolitik strich Hera damals: Sie empfand sie als nicht wichtig genug.
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 09/2021 des P.M. Magazins.