Steckt unser Universum in einem Schwarzen Loch?

von
Schwarzes Loch Astro Tim
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Eine faszinierende Beobachtung des James-Webb-Weltraumteleskops wirft ein neues Licht auf unser Universum – buchstäblich. Könnte es sein, dass wir alle innerhalb eines gigantischen Schwarzen Lochs leben? Eine bislang spekulative Theorie rückt damit wieder in den Fokus der Kosmologie.

Seit seiner Inbetriebnahme im Sommer 2022 liefert das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) eine Entdeckung nach der anderen. Doch eine neue Beobachtung im Rahmen des „James Webb Space Telescope Advanced Deep Extragalactic Survey“ (JADES) hat nun das Potenzial, unser Verständnis vom Universum grundlegend zu verändern.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich etwa zwei Drittel der von JWST beobachteten Galaxien in dieselbe Richtung drehen – im Uhrzeigersinn. Nur ein Drittel zeigt eine entgegengesetzte Rotation. Diese scheinbar kleine Abweichung von einem zufällig erwarteten 50:50-Verhältnis könnte weitreichende Implikationen haben. Denn im kosmischen Maßstab würde man bei zufälliger Verteilung eine gleichmäßige Verteilung der Rotationsrichtungen erwarten.

Kosmische Asymmetrie – Zufall oder Hinweis auf ein tieferes Prinzip?

Der Informatikprofessor Lior Shamir, Leiter des Forschungsteams hinter der Studie, stellt eine provokante Hypothese auf: „Die einfachste Erklärung für ein rotierendes Universum ist, dass das Universum in einem rotierenden Schwarzen Loch geboren wurde.“

Damit greift Shamir eine bislang theoretische Annahme auf, die sogenannte Schwarzloch-Kosmologie – auch als Schwarzschild-Kosmologie bekannt. Sie postuliert, dass unser beobachtbares Universum das Innere eines Schwarzen Lochs ist, das selbst in einem größeren „Eltern-Universum“ existiert. Die Grenze unseres sichtbaren Universums, der kosmologische Horizont, würde in diesem Szenario dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs entsprechen – jener Grenze, ab der nichts mehr entweichen kann, nicht einmal Licht.

Der Urknall als Rückstoß?

Eine Variante dieser Theorie wurde besonders vom polnischen Physiker Nikodem Popławski geprägt. Ihm zufolge könnte Materie, die in ein Schwarzes Loch fällt, im Inneren nicht in einer Singularität enden, sondern in einem extrem dichten Zustand „zurückprallen“ – ähnlich wie eine gespannte Feder, die plötzlich losgelassen wird. Dieses kosmische „Zurückspringen“ könnte eine Expansion auslösen, wie sie mit dem Urknall assoziiert wird. Das Schwarze Loch wäre damit nicht das Ende – sondern der Anfang eines neuen Universums.

Popławski betont, dass die extremen Bedingungen im Inneren eines Schwarzen Lochs zur Entstehung neuer Teilchen führen könnten. Diese Teilchen wiederum würden die Masse erhöhen und die Gravitationsabstoßung verstärken – ein möglicher Auslöser für einen Big Bang im Inneren.

Rotation als Fingerabdruck eines „Eltern-Schwarzen-Lochs“?

Die Rotation vieler Galaxien in dieselbe Richtung könnte also ein „kosmischer Fingerabdruck“ sein – ein Überbleibsel der Drehung des Schwarzen Lochs, in dem unser Universum entstanden ist. In der Tat rotieren alle bekannten Schwarzen Löcher, ob sie aus kollabierten Sternen stammen oder sich im Zentrum von Galaxien befinden. Wenn unser Universum aus einem rotierenden Schwarzen Loch hervorgegangen ist, wäre es denkbar, dass dessen Drehimpuls Einfluss auf die großräumige Struktur und Dynamik unseres Kosmos genommen hat.

Die sogenannte Raumzeit-Torsion, also eine Verdrehung der Raumzeit durch Rotation, könnte dabei eine zentrale Rolle gespielt haben. Sie könnte auch verhindern, dass sich Materie zu einer unendlichen Singularität verdichtet – stattdessen würde ein neues, in sich geschlossenes Universum entstehen.

Ein Multiversum aus Schwarzen Löchern?

Geht man noch einen Schritt weiter, könnte jedes Schwarze Loch in unserem Universum ein Portal zu einem eigenen „Baby-Universum“ darstellen – ein Konzept, das im Rahmen der Multiversum-Theorie diskutiert wird. Diese Tochter-Universen wären für uns nicht zugänglich, da sie sich jenseits eines Ereignishorizonts befinden. Unser gesamter Kosmos wäre in diesem Szenario lediglich eine von unzähligen „Seifenblasen“ in einem gigantischen, unvorstellbar großen Multiversum.

Zufall oder Schlüssel zur Wahrheit?

Besonders bemerkenswert: Wenn man den Schwarzschild-Radius eines Schwarzen Lochs berechnet, das die Masse unseres Universums besitzt, erhält man einen Wert von etwa 45 Milliarden Lichtjahren – fast exakt der Radius des beobachtbaren Universums. Ist das ein bedeutungsvoller Zusammenhang oder lediglich ein erstaunlicher Zufall?

Kritisch anzumerken ist jedoch, dass diese Theorien spekulativ bleiben. Es gibt alternative Erklärungsansätze für die beobachtete Rotationsasymmetrie der Galaxien. Eine davon betrifft unsere eigene Milchstraße. Bisher wurde angenommen, dass deren Rotation zu langsam ist, um Beobachtungen wie jene des JWST zu beeinflussen. Sollte das aber doch der Fall sein, müssten viele kosmologische Messmethoden neu überdacht werden – inklusive der Entfernungsbestimmung zu fernen Galaxien.

Fazit: Eine Theorie mit Potenzial – und offenen Fragen

Die Schwarzloch-Kosmologie ist nicht neu, aber durch die neuen Beobachtungen des James-Webb-Teleskops gewinnt sie an Relevanz. Sie bietet eine kühne, aber kohärente Erklärung für einige der größten Rätsel der modernen Kosmologie – vom Ursprung des Universums bis zur Struktur des Multiversums.

Ob unser Universum tatsächlich in einem Schwarzen Loch steckt, ist noch ungewiss. Doch die Idee regt zum Nachdenken an – und erinnert uns daran, wie viel wir über die Natur unseres Kosmos noch nicht wissen.

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