(Text: Thomas Röpke)
Die zur japanischen Stadt Nagasaki gehörende Insel Hashima erinnert heute an Geisterorte wie Tschernobyl: In aller Eile von den Bewohnern verlassen, sind die Gebäude seit Jahrzehnten dem Verfall preisgegeben, unzählige Alltagsgegenstände liegen und stehen herum, vom Spielzeug bis zum Kühlschrank, selbst einige gedeckte Tische sind noch zu sehen. Was ist auf der Insel passiert? Hashima ist in Japan besser bekannt unter dem Spitznamen »Gunkanjima«, »Kriegsschiffinsel«. Denn das Eiland ist komplett von einer massiven, acht bis zehn Meter hohen Schutzmauer umgeben und trug einst zahlreiche Aufbauten aus Stahl und Beton, Wohn- und Fördertürme zum Kohleabbau. So ähnelte die Silhouette der Insel vor allem in der Dämmerung der eines Kriegsschiffs. Zumal sie mit 120 Meter Breite und 320 Meter Länge mit einem Blick überschaubar war. Auch dann noch, als sie im Laufe der Jahrzehnte durch Abraum aus den Kohlegruben auf 160 mal 480 Meter anwuchs.
Eine düstere Vergangenheit aus Zwangsarbeit und Armut
Ab 1887 wurde von hier aus unterseeisch Kohle abgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden dafür chinesische und koreanische Zwangsarbeiter eingesetzt, von denen mehr als 1300 auf Hashima starben. Ihre Leichen wurden in alten Stollen verscharrt oder ins Meer geworfen. 1959 lebten hier 5259 Menschen, und es wurde die höchste jemals aufgezeichnete Bevölkerungsdichte der Welt festgestellt – mit 83 476 Einwohnern pro Quadratkilometer, das sind fast sechsmal so viele wie in Tokio heute. Jahrzehntelang standen den Arbeitern nur Zehn-Quadratmeter-Wohnungen mit Gemeinschaftstoiletten zu. Erst in den 1960er-Jahren besserten sich die Verhältnisse, Arbeiter und ihre Familien wurden mit Prämien und Vergünstigungen angeworben, der Lebensstandard lag deutlich über dem japanischen Durchschnitt.
Die Infrastruktur umfasste 25 Läden, Kindergarten, Schulen, Sporthalle, Kegelbahn, Schwimmbäder, Kino, Gaststätten, Tempelanlagen, Polizeistation, Hotel und Krankenstation. Bis der Betreiber der Kohlegruben, der Mitsubishi-Konzern, im Januar 1974 die Schließung der Anlagen bekannt gab. Den ersten Mitarbeitern, die sich auf dem Festland bei der Firma meldeten, wurde eine Arbeitsplatzgarantie zugesichert. Daraufhin verließen sie mit ihren Familien fluchtartig die Insel und ließen dabei meist den größten Teil ihrer Habseligkeiten zurück, der Abtransport hätte sich nicht gelohnt. Das letzte Boot legte am 20. April 1974 von der Insel ab. Hashima wurde in Teilen zurückgebaut und anschließend zur Sperrzone erklärt. Erst seit 2009 ist die Insel für geführte Besuchergruppen wieder zugänglich. Nicht zuletzt auch als Mahnmal der rücksichtslosen Industrialisierung und Ausbeutung.
Der Artikel ist in der Ausgabe 01/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.