(Artikel: Joshua Kocher)
Der Bericht ist 33 Seiten lang, immerhin sechs Forscher und Wissenschaftlerinnen haben ihn verfasst. Sie arbeiten in renommierten Instituten und Behörden: im Umweltbundesamt und im Deutschen Geoforschungszentrum, in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie in Landesbergbauämtern. Vier Jahre lang hatten sie sich im Auftrag des Bundestags mit »Hydraulic Fracturing«, kurz »Fracking«, beschäftigt, der Erdgasförderung aus Schiefergasgestein. Am 30. Juni 2021 legten sie den Volksvertretern ihre Ergebnisse vor.
Sie schlossen mit einer dringlichen Bitte: Der Bundestag möge umgehend entscheiden, ob das Fracking-Verbot von 2017 bestehen bleiben solle. Nicht nur habe sich die klimapolitische Lage verändert, auch die Technik zur Erschließung von Schiefergas habe sich deutlich weiterentwickelt. Die Umweltrisiken ließen sich inzwischen minimieren.
Ist ein Fracking-Verbot noch sinnvoll?
Doch die Bitte der »Expertenkommission Fracking« verhallte. Denn das öffentliche Urteil über die Abbaumethode war da schon längst gefällt: Sie sei umweltschädlich und potenziell gefährlich. Die Technik löse Erdbeben aus, verursache klimaschädliche Methan-Lecks, gefährde die Reinheit des Grundwassers. Fracking: eine Technik des untergehenden fossilen Zeitalters, nicht einer grünen Zukunft.
Ein Jahr später sind viele Gewissheiten zertrümmert: Wladimir Putin ließ die Ukraine angreifen; wegen des Gasmangels haben Bevölkerung und Unternehmer Angst vor dem Winter. Nun stellt sich die Frage neu: Ist das Fracking-Verbot noch sinnvoll?
Kilometertief ruht der Stoff, um den es geht, unter der Erde. Entstanden ist er in einem Prozess von Jahrmillionen Dauer. Algen und Plankton starben ab, sanken auf den Meeresboden, wurden überdeckt von Erde und Gesteinssedimenten und wandelten sich zu Faulschlamm. Außen herum verdichteten sich die Sedimente zu Tongestein, der Geburtsstätte von Erdgas und Erdöl. Im Inneren bildeten sich aus dem Faulschlamm kleine, gasförmige Kohlenwasserstoffe. Ab Temperaturen von etwa 70 Grad Celsius wurde daraus vorwiegend Erdöl, zwischen 120 und 180 Grad verwandelten sie sich vor allem in Erdgas.
In Deutschland sollen mindestens 320 milliarden Kubikmeter Schiefergas ruhen
Der Großteil des Gases trieb später aus dem Gestein so lange in Richtung Erdoberfläche, bis es auf eine undurchlässige Schicht traf, Mergel oder Salzstein zum Beispiel. Darunter sammelte es sich in Klüften und anderen größeren Hohlräumen. So entstanden Gaslagerstätten, die einfach auszubeuten sind. In Deutschland wurden 2021 daraus mehr als fünf Milliarden Kubikmeter Gas gefördert.
Noch unberührt blieb in Deutschland allerdings das Schiefergas, jener Teil des Erdgases, der bis heute im Muttergestein verblieben ist. In ganz Deutschland sollen mindestens 320 Milliarden Kubikmeter Schiefergas ruhen, vielleicht sogar bis zu 2000 Milliarden Kubikmeter, schätzt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Haushalte und Industrie verbrauchten in Deutschland zuletzt jährlich 90 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Schiefergasvorräte könnten also im besten Fall mehr als zwei Dekaden reichen – wenn man sich entschlösse, Fracking einzusetzen, eine Technologie, die in ihrer extremen Form noch nie in Deutschland erprobt wurde.
Planung, Exploration und aufbau von Anlagen kann Jahre dauern
Jan Lillie kennt sich dennoch damit aus. Der Verfahrenstechniker leitet beim Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie die Abteilung Exploration und Produktion, er soll erklären, was beim Fracking in bis zu mehreren Tausend Meter Tiefe passiert.
Vor dem Prozess tief unten im Gestein, der selbst nur wenige Stunden dauert, stehen zunächst Planung, Exploration und Aufbau der Anlagen. Das kann mitunter Jahre dauern. Teams aus den Fachgebieten Geophysik, Geologie, Hydrologie und Bohrtechnik identifizieren potenzielle Fördergebiete, indem sie mit seismischen Messungen ein dreidimensionales Bild des jeweiligen Untergrunds erstellen. Sie interessiert: Welche Gesteinstypen gibt es? Wie porös sind die Steine? Und vor allem: Wie viel Erdgas könnte da unten ruhen?
ES lassen sich Gaslagerstätten in einer Tiefe von mehr als fünf Kilometern erschliessen
Doch selbst mit den besten Voruntersuchungen kann nur eine Bohrung nachweisen, dass tatsächlich Erdgas vorhanden ist. Die Bohranlage besteht im Wesentlichen aus einem Bohrturm, mehreren Hochdruckpumpenaggregaten für die Spülung und einer Sieb- und Tankanlage zum Aufbereiten der Spülung. Ein Standrohr wird bis zu 70 Meter tief in den Boden gerammt. Durchmesser: zwischen einem Dreiviertelmeter und einem Meter, Wanddicke: ein bis zwei Zentimeter. Das Standrohr durchdringt weit oben im Erdreich die Trinkwasserschichten, die selten tiefer als 200 Meter liegen.
Dann frisst sich ein Bohrmeißel vertikal in die Tiefe, hobelt das Gestein ab und zermahlt es. Die Pumpen spülen das Mahlgut an die Oberfläche. Nach jedem Teilstück werden Stahlrohre niedergelassen und verschraubt, jedes bis zu zwölf Meter lang. Diese Rohre werden immer dünner, je tiefer es geht, von anfangs einem Meter Durchmesser auf bis zu zehn Zentimeter – der Aufbau gleicht dem eines riesigen Teleskops. Die überlappenden Zwischenräume werden mit Zement gefüllt. Die mehrschichtige Wand aus Zement und Stahlrohren soll zum einen die Grundwasserschichten vor Verschmutzung schützen und zum anderen das Bohrloch stabiler machen. Auf diese Art lassen sich Gaslagerstätten in einer Tiefe von mehr als fünf Kilometern erschließen.
Bohrprofis greifen beim Fracking zu einem Trick
Weil die Schiefergasschichten nur wenige Dutzend Meter dick sind, greifen die Bohrprofis beim Fracking zu einem Trick, sagt Jan Lillie. »Etwa 150 Meter oberhalb der Schicht, in der das Schiefergas vermutet wird, beginnen sie, den Bohrmeißel abzulenken.« Richtbohrtechnik nennt sich das: Der Meißel arbeitet sich nun zunehmend horizontal durch die Schichten, bis er sie, auf Höhe der Gas führenden Schicht, waagerecht durchbohrt, auf gut 600 bis 1200 Meter Länge. »So können mit einer einzigen Bohrung große Flächen erschlossen werden«, sagt Lillie.
Dann beginnt der eigentliche Fracking-Prozess.Kleine Sprengkapseln werden in das Rohr eingeführt, ganz unten in der Schiefergasschicht. »Diese schießen wie Schrotkugeln zwei Zentimeter große Löcher in das Ende des Rohrs, durchdringen die Zementschicht und ermöglichen einen Zugang zur Lagerstätte«, erklärt Lillie die »Perforation«.
Dann presst ein Kompressor mit mehreren Hundert Bar Druck Fracking-Fluid in die Bohrung, eine Mischung, die größtenteils aus Wasser besteht. Im Gestein kommt es zum Scherenbruch: Die Spalten und Poren öffnen sich. Im besten Fall entsteht ein dreidimensionales Netz aus natürlichen und künstlich erzeugten Rissen.
Ist eine Gaslagerstätte erschöpft, wird die Bohrung mit Zement gefüllt
Das Fracking-Fluid enthält auch Sand oder Keramikkügelchen, die die neu geschaffenen Risse offen halten sollen, wenn der Druck später zurückgenommen wird. Zudem sollen Chemikalien die Fließeigenschaften des Fluids verbessern und die Rohre vor Schäden bewahren.
Oben werden nun die Pumpen ausgestellt – und es wird zurückgefördert. Durch die Perforationslöcher strömt das Gas in das Rohr. Da das Gas unter Überdruck steht, zieht es das Fracking-Fluid an die Oberfläche.
Dieser Prozess wiederholt sich so oft, bis die gesamte horizontale Länge des Rohrs perforiert ist. Ist die Gaslagerstätte erschöpft, wird über Tage alles zurückgebaut und die Bohrung mit Zement aufgefüllt. Die zementierten Rohre bleiben im Boden. Von ihnen gehe keine Gefahr für die Umwelt aus, sagt Lillie.
In der Tat hört sich die Fracking-Technik bei Jan Lillie so harmlos an, dass man sich unwillkürlich fragt, warum diese Abbaumethode für solche Diskussionen sorgt. Aber Lillie arbeitet eben auch für einen Branchenverband, der ein Interesse an der Exploration natürlicher Gasvorkommen in Deutschland hat.
Der vollständige Artikel befasst sich weiter mit den Risiken von Fracking. Er ist als Titelgeschichte der Ausgabe 11/2022 von P.M erschienen.