(Interview: Torben Müller)
Herr Haslam, eigentlich ist es völlig natürlich, zu sich genommene Nahrung wieder auszuscheiden. Trotzdem ist uns dieser Vorgang und alles, was damit zusammenhängt, oft peinlich. Wenn zum Beispiel eine Person nach uns auf die Toilette geht, es dort stinkt und sie diesen Geruch mit uns verbindet, ist uns das unangenehm. Wenn wir furzen, soll niemand erfahren, dass wir es waren. Woher kommt diese Scham?
Wenn wir unseren Darm entleeren oder pupsen, entblößen wir unsere schmutzige Seite. Jene, die wir vor anderen verbergen wollen – obwohl natürlich jeder sie besitzt. Es geht dabei um eklige Körperaktivitäten, denen wir lieber hinter verschlossenen Türen nachgehen und deren Spuren wir möglichst gründlich beseitigen wollen. Deshalb lieben wir das Wasserklosett: einmal spülen – aus den Augen, aus dem Sinn. Geraten die Aktivitäten doch ans Tageslicht, sind besonders Frauen peinlich berührt, weil von ihnen immer noch in besonderem Maße Reinheit und Hygiene erwartet werden, deutlich mehr als von Männern. Ich denke, unsere Scham beruht dabei vor allem auf einem Motiv: Wir wollen anderen keinen Schaden zufügen – auch nicht ihrer Nase. Unsere Zurückhaltung ist daher verständlich, aber sie kann auch krankhafte Züge annehmen.
Welche zum Beispiel?
Viele Menschen sorgen sich übermäßig um Gerüche und sogar Geräusche, die sie verursachen. Es gibt mittlerweile nicht nur Duftsprays, sondern sogar Geräte, die auf Knopfdruck rauschen, um einschlägige Töne aus dem Darm zu überdecken. Mitunter ist die Scham sogar so groß, dass manche Menschen vermeiden, außerhalb ihrer Wohnung aufs Klo zu gehen. Sie fahren dafür dann womöglich von der Arbeit kurz nach Hause oder suchen gezielt Treffpunkte in der Nähe der heimischen Toilette. Sie leiden an einer Angststörung mit dem Namen Parcopresis. Eine Verhaltenstherapie kann in solchen Fällen helfen.
Waren die Menschen immer so schamvoll, wenn es ums Fäkale ging? Oder hat sich das im Laufe der Jahrhunderte verändert?
Ich bin kein Historiker, aber ich habe den Eindruck, dass das zugenommen hat. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir in einer antiseptischen Welt leben. Im Mittelalter schütteten die Menschen den Inhalt ihres Nachttopfs einfach aus dem Fenster auf die Straße. Da stank es überall in den Städten. In solchen Verhältnissen fällt es schwer, einen Sinn für Scham bezüglich der Ausscheidungsaktivitäten zu ent-wickeln oder zu bewahren. Noch als ich Kind war, benutzten Männer gewöhnlich kein Deo. Man ging entspannter mit strengen Gerüchen um, weil das Thema Sauberkeit nicht so obsessiv gehandhabt wurde – und vielleicht nahm man Körperfunktionen einfach eher als selbstverständlich hin.
Sollten wir also gelassener und offener in Toilettenfragen sein?
Ich möchte Menschen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Und ich sage auch nicht, dass man die Klotür lieber offen lassen und Toilettenaktivitäten öffentlich zelebrieren sollte. Aber in manchen Fällen wäre weniger Scham angebracht. Zum Beispiel, wenn Männer und Frauen vor wichtigen Untersuchungen wie der Darmkrebsvorsorge zurückschrecken und noch nicht einmal darüber reden möchten, weil ihnen das Thema peinlich ist.
Sie haben festgestellt, dass sich selbst Psychologinnen und Psychologen um den Forschungsbereich Toilette herumdrücken …
Das stimmt, aber ich glaube nicht, dass unsere Zunft grundsätzlich eine Abneigung dagegen hat. Viele Menschen, Psychologinnen und Psychologen eingeschlossen, finden solche Themen sogar amüsant und interessant. Aber diese Art der Forschung führt nicht zu wissenschaftlichem Ruhm.
Das Interview ist in der P.M.-Zusatzausgabe »Alles Scheiße – Die Erforschung eines Tabuthemas« erschienen. Das Heft erhalten Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop.