(Text: Ferdinand Dyck)
Als Francesco Friedrich bei den olympischen Spielen in Peking mit seinem Viererbob ins Ziel einfährt, hat er Historisches geschafft. Als erster Pilot der Geschichte gewinnt der Sachse bei aufeinanderfolgenden olympischen Spielen zwei Goldmedaillen. Mit Johannes Lochner kann sich ein weiterer deutscher Pilot hinter Friedrich die Silbermedaille sichern. Der Doppelsieg im Viererbob bleibt nicht der einzige deutsche Erfolg im Eiskanal von Peking: Auch im Zweierbob der Frauen gelingt ein Doppelsieg, im Zweierbob der Herren gehen sogar alle drei Medaillen ans deutsche Team. Mit insgesamt 16 von 27 möglichen Medaillen dominieren die deutschen Athleten den Eiskanal von Yanqing.
Michael Nitsch – drahtig, Stoppeln im Gesicht – wird sich über die deutsche Dominanz im Eiskanal gefreut haben. Denn ein Gutteil des Triumphs gehört auch seinem Team: 20 Jahre lang war Nitsch Leiter im Projekt Bobsport des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin-Schöneweide. Seit 2019 ist er sogar Direktor jener legendären Sporttechnologieschmiede, deren Abkürzung auf fast alle deutschen Bobs lackiert ist und die im Spitzensport jeder kennt: FES.
Und nicht nur auf Bobs, sondern überall, wo Sporttechnologie deutschen Spitzenathleten zu Erfolgen verhilft, findet sich der legendäre FES-Schriftzug. Auf Bahnrennrädern, Kanus, Schlitten und Schlittschuhen. FES-Techniker entwickeln Skisprungbindungen und Snowboard-Bindungsplatten, versorgen Athleten und Trainer mit Mess- und Informationstechnologie. Seit Jahrzehnten liefert das Institut den deutschen Athleten verlässlich maßgefertigtes Hightech-Material, das die Sportler zu Siegern macht.
Anfänge des FES in der DDR
Alles begann vor knapp 60 Jahren in Leipzig. An der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport wurde 1963 eine neue Abteilung gegründet. Dort sollten für die DDR-Leistungssportler »individuell angepasste Sportgeräte von internationalem Niveau« entwickelt werden. Weil Spitzensport damals als Waffe im Kalten Krieg betrachtet wurde und man bei der Wahl der Waffen wenig zimperlich war, organisierten die Leipziger Wissenschaftler unter anderem das systematische Staatsdoping.
Doch nicht in allen Bereichen arbeiteten die DDR-Sportforscher mit unlauteren Mitteln. Die Außenstelle der Leipziger Uni, die 1965 in Schöneweide entstand, kommt historisch deutlich besser weg. Dort fertigten die Spezialisten der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte schon bald Hightech-Innovationen von Weltruf. Durch die Arbeit mit glasfaserverstärkten Kunststoffen, Kohle- und Kevlar-Fasern sowie die Einführung der Sandwich- wabentechnologie, einer Leichtbauweise für Boote und Kanus, setzten sie internationale Standards, die bald auch von kapitalistischen Ländern übernommen wurden. Goldstandards sozusagen: Mit dem selbsttragenden Scheibenlaufrad für Rennräder und dem ersten bei Olympischen Spielen eingesetzten carbonfaserverstärkten Fahrradrahmen holten die DDR-Athleten zum Beispiel 1988 in Seoul den Olympiasieg im Mannschaftszeitfahren über 100 Kilometer.
Anders als die Dopingabteilung überlebte das erfolgreiche Sporttechnologie-Institut deshalb auch die Wende – wenn auch mit deutlich reduzierter Mitarbeiterzahl. 1992 brachten der Deutsche Sportbund, das Nationale Olympische Komitee, die Spitzensportverbände und das Bundesinnenministerium die Gründung eines neuen Trägervereins auf den Weg, um das FES auch im vereinigten Deutschland weiterarbeiten zu lassen. Finanziert wird dessen Arbeit seitdem aus Steuermitteln. Etwa sieben Millionen Euro jährlich stehen dafür aktuell zur Verfügung. Keine große Summe für eine Institution mit immerhin rund 85 Mitarbeitern, die Welttechnologieführer in gleich mehreren Sportdisziplinen ist.
Ein ausführlicher Artikel unseres Autors Ferdinand Dyck ist in der Ausgabe 03/2021 von P.M. erschienen.