Spiegelleben: Bedrohung oder medizinische Revolution?

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Spiegelleben
Foto: Astro Tim
"Spiegelleben" sind Lebensformen, die aus spiegelbildlichen Molekülen bestehen. Welche Gefahr geht von ihnen aus?

In einer Welt, die sich zunehmend auf die Fortschritte der Wissenschaft verlässt, könnte eine neue Entdeckung bahnbrechend sein oder eine existenzielle Bedrohung darstellen. Führende Wissenschaftler warnen vor der potenziellen Gefahr sogenannten „Spiegellebens“ – Lebensformen, die aus spiegelbildlichen Molekülen bestehen und möglicherweise die gesamte Menschheit auslöschen könnten. Doch wie realistisch ist diese Bedrohung wirklich? Und können diese spiegelbildlichen Moleküle nicht auch immense Chancen für die Medizin bieten?

Die Grundlagen der Chiralität

Um die Diskussion um Spiegelleben zu verstehen, müssen wir zunächst in die faszinierende Welt der Moleküle eintauchen. Stell dir vor, du stehst vor einem Spiegel. Dein Spiegelbild ähnelt dir, ist aber spiegelverkehrt – deine rechte Hand wird zur linken und umgekehrt. Dieses Prinzip nennt man Chiralität, und es betrifft auch Moleküle.

In der Biologie ist Chiralität entscheidend. Alle lebenswichtigen Moleküle, wie Aminosäuren und Zucker, haben eine bestimmte „Händigkeit“. Aminosäuren, die Bausteine unserer Proteine, sind in allen Lebewesen ausschließlich linkshändig. Dagegen sind die Zuckerbausteine unserer DNA rechtshändig. Warum das so ist, bleibt eines der großen Rätsel der Biologie. Die vorherrschende Theorie besagt, dass dieser „Händigkeit“ eine zufällige Entscheidung bei der Entstehung des Lebens auf der Erde zugrunde liegt.

Spiegelleben: Realität oder Science-Fiction?

Was wäre, wenn irgendwo im Universum Leben existiert, das genau spiegelbildlich aufgebaut ist – mit rechtshändigen Aminosäuren und linkshändiger DNA? Während dies nach Science-Fiction klingt, ist es eine reale Möglichkeit. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler Fortschritte gemacht, um spiegelbildliche Biomoleküle herzustellen. Bereits 2016 gelang es, ein spiegelbildliches Enzym zu kreieren. Der nächste mögliche Schritt: ein komplett spiegelbildliches Bakterium.

Forscher sind bestrebt, diese Moleküle zur Entwicklung neuer Medikamente zu verwenden. Spiegelbildliche Moleküle könnten im Körper länger wirksam bleiben und wären resistent gegen viele Krankheitserreger und Viren. Doch mit dieser potenziellen medizinischen Revolution kommt auch eine erhebliche Gefahr.

Die beispiellose Bedrohung durch Spiegelleben

In einem aufsehenerregenden Bericht warnen 38 renommierte Wissenschaftler, darunter mehrere Nobelpreisträger, vor den Gefahren, die Spiegelleben für alles Leben auf der Erde darstellen könnten. Ein spiegelbildliches Bakterium könnte, wenn es aus einem Labor entweicht, verheerende Folgen haben. Unser Immunsystem, das auf die Erkennung von Molekülen mit bestimmter Händigkeit spezialisiert ist, würde solche Bakterien nicht erkennen und somit nicht bekämpfen können. Dies könnte zu unkontrollierten Infektionen führen, gegen die konventionelle Antibiotika wirkungslos wären.

Evolutionsbiologe Vaughn Cooper von der University of Pittsburgh betont: „Spiegelbakterien würden wahrscheinlich viele Immunreaktionen umgehen und tödliche Infektionen verursachen, die sich unkontrolliert ausbreiten.“ Das Szenario: Pflanzen und Tiere, unfähig, diese Spiegelbakterien abzuwehren, sterben ab, Nahrungsketten brechen zusammen, und auch für den Menschen gäbe es kein Entkommen.

Chancen und Risiken: Die Zukunft der Forschung

Obwohl wir von der Schaffung eines vollständigen spiegelbildlichen Organismus noch entfernt sind, mahnen die Wissenschaftler zur Vorsicht. Sie fordern, die Forschung an Spiegelbakterien einzustellen, solange nicht bewiesen ist, dass diese keine außergewöhnlichen Gefahren darstellen. Aber ist ein vollständiges Verbot der Forschung der richtige Weg? Einige Forscher argumentieren, dass die Risiken durch strenge Sicherheitsmaßnahmen minimiert werden können.

Die Natur selbst produziert ständig spiegelbildliche Moleküle wie den Geruchsstoff Carvon, der in seiner linkshändigen Form nach Pfefferminze und in seiner rechtshändigen Form nach Kümmel riecht. Und es gibt Theorien, dass kosmische Strahlung vor Milliarden Jahren die Chiralität des Lebens auf der Erde beeinflusst haben könnte. Wenn die kosmische Strahlung einen Einfluss hatte, könnte es auch planetenweit spiegelbildliche Lebensformen geben. Dies wiederum bedeutet, dass nicht nur unsere eigene Forschung Spiegelleben hervorbringen könnte, sondern auch die Erforschung des Weltraums oder Asteroiden eine existenzielle Bedrohung darstellen könnte.

Fazit: Mit großer Macht kommt große Verantwortung

Die Warnung der Wissenschaftler zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, die möglichen Folgen unserer Forschung sorgfältig abzuwägen. Gerade in einer Zeit, in der die Gentechnik rasante Fortschritte macht, müssen wir uns fragen: Nur weil wir etwas können, heißt das, dass wir es tun sollten? Mit großer Macht kommt große Verantwortung – die Weisheit von Spiderman hat hier ihre wohl wahrste Bedeutung entfaltet.

Das letzte Wort zu diesem Thema ist noch längst nicht gesprochen. Während die Wissenschaftler, befeuert von den potenziellen medizinischen Vorteilen spiegelbildlicher Moleküle, Vorfreude verspüren, mahnen Kritiker zur Umsicht. Die Forschung könnte tiefgreifende und unumkehrbare Auswirkungen haben. Was wir jetzt entscheiden, könnte über das Überleben künftiger Generationen entscheiden.

Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
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