(Interview: Alexander Stirn)
Herr Grübler, es ist eine klassische Aufgabe für Start-up-Gründer: Sie haben 30 Sekunden Zeit, um jemanden von Ihrer Idee zu überzeugen. Los geht’s.
Grübler: Wir tracken – das heißt: wir verfolgen – alle Wärmequellen, die den Klimawandel antreiben, und reduzieren so dessen Auswirkungen auf unser Leben. Zu den Wärmequellen gehören vor allem Waldbrände, die wir auf der ganzen Welt frühzeitig erkennen und vor denen wir warnen.
Noch 15 Sekunden …
Waldbrände und andere Feuer in der Natur emittieren etwa 8000 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Das ist eine riesige Menge, mehr als doppelt so viel wie alle EU-Staaten zusammen. Hinzu kommt: Der Klimawandel führt zu längeren Dürreperioden, die Wälder trocknen aus. Wir sehen dadurch zwar nicht mehr Brände – aber wenn es brennt, dann stehen immer größere Flächen in Flammen.
Die Zeit ist um!
Einen Vergleich bitte noch: Über freiwillige Klimakompensationen können zum Beispiel Reisende den Ausstoß an Treibhausgasen während eines Flugs ausgleichen. Dieser gesamte Markt des freiwilligen Kompensierens entspricht nur 0,3 Prozent der Kohlendioxidemissionen, die von Waldbränden freigesetzt werden. Das heißt, wir können mit unserem Ansatz viel, viel mehr erreichen. Gibt es bislang keine Systeme zur Überwachung der Wälder? Doch, eingesetzt werden die aber vor allem in Hochrisikogebieten oder in Regionen, wo Wälder für die Holzproduktion genutzt werden. Dort kreisen Patrouillenflugzeuge, und es gibt Türme mit Kameras oder Menschen, die nach Bränden Ausschau halten.
Und was ist mit Satelliten?
Auch die gibt es. Sowohl Nasa als auch Esa, also die US-amerikanische und die europäische Raumfahrtbehörde, betreiben Satelliten, die – neben vielen anderen Dingen – Waldbrände erkennen können. Das sind aber Riesendinger, milliardenteure Projekte. Folglich sind es Einzelstücke, die bestenfalls einmal täglich über jeden Ort auf der Erde fliegen.
Wenn es all das aber schon gibt, was machen Sie besser?
Wir sammeln, bündeln und verarbeiten Daten aus all diesen Quellen. Dazu gehören mehr als 20 öffentlich zugängliche Satellitensysteme, aber auch Kamerabilder von Feuerwachtürmen oder Anlagen, die Blitze orten können. Hinzu kommen Wettervorhersagen: Wie weht der Wind, wie sind die Temperaturen, ist mit Regen zu rechnen? Aus all diesen Informationen ermitteln wir – mithilfe eigener Algorithmen und mit künstlicher Intelligenz –, wo auf der Welt gerade Feuer ausbrechen.
Und dafür finden sich Kunden?
Wir schützen mittlerweile über 160 Millionen Hektar reine Waldfläche – mehr als die vierfache Fläche der Bundesrepublik. In Südamerika und Australien sind wir führend im kommerziellen Forstbereich – auch wenn der dort, zugegeben, relativ klein ist.
Trotzdem sollen nun noch eigene Satelliten hinzukommen. Ja, unsere Software und unser Service laufen zwar bereits, trotzdem stoßen wir immer wieder an Grenzen: Die heutigen Satelliten, die dicken Brummer von Nasa und Esa, sind nicht nur zahlenmäßig begrenzt. Ihre Umlaufbahnen wurden zudem so gewählt, dass sie über jedem Punkt der Erde immer nur morgens oder mittags am Himmel auftauchen. Dadurch gehen uns Brände, die am Nachmittag aufflammen, durch die Lappen.
Woher kommt diese Lücke in der Beobachtung?
Am Vormittag sind meist weniger Wolken am Himmel, da ist die Sicht besser. Und zur Mittagszeit wirft die Sonne am wenigsten Schatten. Wenn ich mit einem milliardenteuren Satelliten optimale Aufnahmen machen möchte, sind das die besten Zeiten. Wir hingegen wollen keine perfekten Bilder, wir wollen den Tagesverlauf abbilden.
Mit vielen kleinen Satelliten?
Ja, alle unsere Satelliten zusammen kosten weniger als ein Hundertstel eines solchen großen Satelliten. Massenproduktion und günstige Komponenten ermöglichen das.
Aber leidet darunter nicht die Qualität der Aufnahmen?
Wir werden niemals die beste Kamera bauen, aber das brauchen wir auch nicht. Unsere Kunden wollen häufige und regelmäßige Daten. Und was dabei an optischer Qualität fehlt, können wir gut mit Algorithmen ausgleichen – zum Beispiel durch Abgleich mit den schärferen, aber nicht so aktuellen Aufnahmen der Esa- und Nasa-Satelliten.
Wie viele Satelliten brauchen Sie dafür?
Um die Beobachtungslücke am Nachmittag zu schließen, reichen bereits sieben Satelliten. Das ist der erste Schritt. Schritt Nummer zwei wird dann der Start von etwa 100 Mini-Satelliten sein. Damit erreichen wir eine mehr als stündliche Abdeckung jedes Punktes auf der Erde – im Durchschnitt können wir einen Waldbrand auf diese Weise innerhalb von 30 Minuten erkennen. Da wollen wir hin.
Und das war’s dann?
Nein. In Zukunft möchten wir Feuer nicht nur erkennen, sondern auch vorhersagen, wie sie sich entwickeln, wie groß sie werden. Ausgangspunkt solcher Prognosen sind aktuelle Wind- und Temperaturdaten, Geländeformen, Bodenfeuchte, Baumgesundheit – alles Informationen, die uns mittlerweile vorliegen. Brandbekämpfer können viel gezielter reagieren, wenn unsere Algorithmen zu Beginn eines Feuers schon vorhersagen, wie gefährlich es werden wird. Die Teams können rechtzeitig Löschflugzeuge anfordern, Schneisen schlagen oder Gebäude evakuieren.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee mit den Waldbränden gekommen?
Angefangen hat alles damit, dass wir – meine Mitgründer und ich – an der TU München einen kleinen Satelliten gebaut haben, zehn mal zehn mal zehn Zentimeter groß, ein Studentenprojekt. Das Beste: Der Satellit hat funktioniert. Der fliegt immer noch, damit sammeln heutige TU-Studenten nun ihre Erfahrungen. Das hat uns gezeigt: Wir können kleine Satelliten bauen, es kostet fast nichts, ein paar Tausend Euro, wenn man nur die Technik betrachtet, und es funktioniert sogar mit einfachsten Materialien.
Und Sie wollten mehr?
Wir haben gemerkt, dass sich das Ganze massenhaft skalieren lässt. Was direkt zu der Frage führte: Was stellen wir damit an? 100 oder sogar 1000 Satelliten zu bauen ist cool, das macht Spaß, aber es muss auch einen Zweck haben.
Wie kamen Sie dann auf die Brände?
Fest stand für uns, dass wir etwas mit Erdbeobachtung machen wollten – nicht zuletzt, weil ich mich im Studium viel mit Optik beschäftigt hatte. Und da zu jenem Zeitpunkt niemand eine Satellitenkonstellation mit Wärmebildkameras plante, war das unsere Nische. Wir haben gesehen, es brennt überall, da können wir etwas bewirken. Viele meinten, das Projekt sei unmöglich. Dafür bräuchte man riesige Satelliten mit gekühlten Sensoren, weil sonst alles von der Wärme an Bord verrauscht würde. Doch ich habe gesagt: Wir schaffen das trotzdem, und wir werden beweisen, dass es geht. Und es hat geklappt. Das Überraschende: Zunächst hatten wir gedacht, wir müssten erst 100 Satelliten bauen, um unsere Idee umsetzen zu können. Doch wir merkten schnell, dass nicht einmal die bereits existierenden Systeme genutzt werden. Also konzentrierten wir uns auf unsere Software, die all diese Datenquellen verarbeitet und so darstellt, dass jeder sofort sieht: Dort brennt es.
Ursprünglich hieß Ihre Firma Orbital Oracle Technologies, jetzt nur noch OroraTech. Spielt der Orbit, der Weltraum, für Sie nicht mehr die entscheidende Rolle?
Doch, nur war der Name superlang, schwer zu merken, und alle haben sich versprochen. Daher haben wir uns für eine kürzere, prägnantere Version entschieden. Aber wir bauen nach wie vor das Orakel aus dem All und nutzen die Raumfahrt für unseren Planeten.
Und als was sehen Sie sich primär: als Raumfahrt- oder Softwarefirma?
Als Plattformfirma. Aktuell besteht unser Service darin, Feuer schnell zu erkennen und vor Bränden zu warnen. Aber die Software lässt sich auch für viele andere Dienstleistungen nutzen.
Wirklich für »alle Wärmequellen, die den Klimawandel antreiben«, wie Sie gesagt haben?
Waldbrände sind nur der Anfang. Aktuell sammeln wir zum Beispiel Erfahrung damit, Gasfackeln zu tracken: In Erdölraffinerien wird oft Methan abgefackelt. Wenn so etwas in, sagen wir, Saudi-Arabien passiert, sind Deutschland und andere EU-Staaten als Rohstoffimporteure für diesen Umweltschaden indirekt mitverantwortlich, aber hierzulande bekommt es niemand mit. Das wollen wir ändern. Sprich: Wir können unsere Plattform ständig erweitern, wir können sie zu einem Echtzeitthermometer für die Erde machen.
Das Interview ist in der Ausgabe 05/2022 von P.M. erschienen.
Über die Kooperation »P.M. FLIEGT INS ALL«: Als wir zum ersten Mal von OroraTech hörten, begeisterte uns die Vision des Münchener Startups: Mit modernster Technik ins All fliegen, um von dort Probleme auf der Erde zu lösen. Ihre Vision wurde zu unserer. Daher begleiten wir OroraTech im Rahmen einer Medienpartnerschaft und lassen Sie, unsere Leserinnen und Leser, intensiver als gewöhnlich daran teilhaben. Werden Waldbrände durch den Klimawandel häufiger? Wie ändert sich die Satellitentechnologie? Wie verschiebt sich das Verhältnis zwischen staatlicher und privater Raumfahrt? Seien Sie ganz nah dabei, wenn wir über die nächsten Schritte der Satelliten auf dem Weg ins All berichten: im Magazin P.M., im Podcast »Schneller schlau«, auf unserer Website sowie in exklusiven Formaten.