Menschliche Beziehungen folgen einer unausgesprochenen Regel. Man kann sie in keinem Gesetzbuch nachlesen und vor keinem Gericht einklagen, dennoch regiert sie unser Verhalten mit eiserner Hand. Es handelt sich um das Gesetz der »Reziprozität«. Sie folgt dem einfachen Prinzip »Wie du mir, so ich dir«. Lisa lädt Anna zum Geburtstag ein. Ein paar Monate später wird Anna auch umgekehrt Lisa zu ihrer Feier ein- laden. Doch kann dieses Grundprinzip auch erklären, warum Freundschaften sich so gut anfühlen?
Einer originellen Studie aus dem US-Bundesstaat Maryland ist dieses Kunststück jetzt gelungen. Man lud paarweise Menschen ins Forschungslabor, die miteinander befreundet waren, und bat sie, jeweils unabhängig von-einander zwei Aufsätze
zu schreiben. Im ersten Aufsatz sollten die Menschen davon berichten, wie sie sich bei der jeweils anderen Person für einen Gefallen revanchierten. Im zweiten Aufsatz sollte es darum gehen, dass umgekehrt die Freundin oder der Freund eine Wohltat erwiderte. Man sorgte zuvor dafür, dass die Freundschaftspaare jeweils über dieselben Ereignisse schrieben. Aus psychologischer Sicht sind dabei vor allem zwei Fragen interessant: Wie viel Mühe hat es gemacht, dem anderen einen Gefallen zu tun? Und wie sehr hat die Aktion dem anderen geholfen?
Die Auswertung der Aufsätze ergab Erstaunliches: Wer dem anderen half, hatte den Eindruck, eher eine Kleinigkeit investiert und dem anderen nur wenig gegeben zu haben. Wer die Hilfe dagegen empfing, schätzte Aufwand und Wirkung der Aktion signifikant höher ein. Mehr noch: Wer sich beim anderen revanchierte, hatte das Gefühl, der andere habe den Gefallen mehr verdient, als dieser selbst das glaubte. Diese Asymmetrie, so die Vermutung, setzt eine Art Kettenreaktion in Gang: Wir haben bei Freunden das unausgesprochene Gefühl, mehr zu bekommen als zu geben – und das bringt uns dazu, weiterhin großzügig zu sein. Genau deshalb fühlen sich solche Beziehungen so gut an.