(Text: Stefan Maiwald)
Der Begriff bezeichnet eine Spezialität der US-Politik: Wird ein Präsident nicht wiedergewählt, kann er in der Übergangsphase bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers noch schnell wichtige Erlasse durchboxen, die nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus nicht so schnell rückgängig gemacht werden können.
Ein berühmtes historisches Beispiel ist John Adams, der zweite Präsident der USA, der kurz vor der Amtsübergabe an Thomas Jefferson noch wichtige Bundesrichter ernannte, die seiner politischen Linie folgten – seitdem spricht man auch von »Mitternachtsrichtern«.
Schon der zweite US-Präsident John Adams vermieste seinem Nachfolger mit Last-Minute-Maßnahmen den Start ins Amt
Jimmy Carter zeichnete sich ebenfalls durch hektische Aktivität aus, bevor Ronald Reagan ins Weiße Haus einzog: Er ließ 10 000 Seiten Gesetzestexte verabschieden. Präsident Barack Obama boxte in den letzten Wochen 25 neue Gesetze durch, darunter viele Verbraucherschutzverordnungen wie etwa strengere Regeln in Bereich der Lebensmittelsicherheit. Besonders umstritten war Bill Clintons Begnadigung von 140 Straftätern am letzten Tag seiner Präsidentschaft; unter anderem erfreute sich sein Halbbruder an der Weisung. Man kann also moralisch zweifelhafte Entscheidungen fällen, ohne politische Konsequenzen fürchten zu müssen.
Die „lame duck period“ bremst den neuen Präsidenten aus
Die USA eignen sich deswegen so gut für Mitternachtsgesetze, weil nach der Wahl eines neuen Präsidenten der Amtsvorgänger noch knapp drei Monate im Amt bleibt. In dieser ungewöhnlich langen Übergangsphase, der »lame duck period«, ist der abgewählte Präsident im Weißen Haus eigentlich eine »lahme Ente« mit schwindendem Einfluss, doch der frisch gewählte »president-elect« muss machtlos zusehen, wie der Vorgänger aus dem Oval Office heraus noch politisch genehme Verordnungen erlässt oder gute Freunde in wichtige Ämter hebt.
Keine Frage, die Mitternachtsgesetze haben ein »Geschmäckle«. Aber angesichts der Grabenkämpfe zwischen den Demokraten und den Republikanern deutet zurzeit nichts darauf hin, dass die Präsidenten diese unselige politische Tradition aufgeben werden.
Der Artikel ist in der Ausgabe 11/2020 von P.M. Fragen & Antworten erschienen.