(Text: Thomas Röbke)
Saatgut gibt es in Hülle und Fülle in jedem Gartenleft. Doch dabei handelt es sich um optimierte, auf Ertrag gezüchtete Sorten. Wer in seinem Garten lieber alte Obst- und Gemüsesorten oder auch Blumen anbauen möchte, die es im normalen Handel gar nicht gibt, muss mitunter lange in entsprechenden Internetforen nach Spezialanbietern suchen – oder leiht sich ein paar Samen aus. Das geht mittlerweile in immer mehr »Saatgutbibliotheken« deutschlandweit. Das Saatgut ist garantiert nicht gentechnisch verändert, und wer es ausbringt, fördert damit die Pflanzenvielfalt und bewahrt alte Sorten vor dem Aussterben. Anders als in einer Leihbücherei gibt man dort jedoch nicht dasselbe Objekt zurück, sondern sammelt und trocknet Samen aus der ersten eigenen Ernte und bringt diese wieder in die Bibliothek.
Das funktioniert, weil nur »samenfestes« Saatgut im Angebot ist, von Pflanzen also, die sich selbst bestäuben. Dadurch wird verhindert, dass sich Sorten kreuzen und der nächste Entleiher es mit Hybriden zu tun hat, mit Pflanzen also, die nicht mehr über genau die Eigenschaften der Ursprungssorte verfügen. So ist es etwa in den USA, Argentinien und Brasilien kaum noch möglich, samenfeste Sorten zu erhalten: Die Hybriden oder gentechnisch veränderten Pflanzen haben längst die Oberhand gewonnen. 75 Prozent der Kulturpflanzen weltweit sind in den letzten 100 Jahren verloren gegangen, so Schätzungen der UN. Weil nur die erste Generation der Hybridpflanzen die Originaleigenschaften hat, müssen sie jedes Jahr nachgekauft werden und sind für die Saatgutkonzerne ein riesiges Geschäft.
Die ersten Saatgutbibliotheken gab es um die Jahrtausendwende
Eine Rückgabepflicht gibt es in den Saatgutbibliotheken nicht, schließlich kann es ja auch sein, dass eine Ernte ausfällt. Aber natürlich ist es für die Hobbygärtner Ehrensache, sich nicht einfach zu bedienen, sondern die Bestände aufzufüllen und zu erweitern.
Die ersten Saatgutbibliotheken entstanden um die Jahrtausendwende in den USA. Sie sind meist herkömmlichen Büchereien angegliedert. Mittlerweile gibt es sie aber auch in vielen Ländern Europas, in Deutschland beispielsweise in Berlin, Hamburg, Bremen, Dresden, Frankfurt am Main, Köln und Karlsruhe, in mehreren Orten rund um Lüneburg und vielen weiteren kleineren Städten und Gemeinden.
Der Artikel ist in der Ausgabe 07/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.