Lost Places: Wie schnell zerfallen unsere Bauwerke?

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Lost Places
Foto (C): Alamy
Wenn Menschen einen Ort verlassen, beginnt die Natur sofort, ihn zurückzuerobern. Wie lange halten Häuser, Brücken, Straßen ihr stand?

Lost Places gibt es überall, auch in Deutschland. Städte, Industrieanlagen, Kirchen – diese verlassenen Orte ziehen oft Touristen an. Im Englischen heißt es „abandoned premises“. Warum die Orte zurückgelassen werden, kann unterschiedliche Gründe haben, doch sind sie alle gleichermaßen spannend und beeindruckend.

Einen dieser Lost Places gibt es in Japan: Käfer, Vögel, schwirrende Libellen. Aber kein Mensch weit und breit – obwohl hier 70 Häuser stehen, viele von ihnen mehrstöckig. Die nur 480 Meter lange und 160 Meter breite japanische Insel Hashima war noch vor wenigen Jahrzehnten der am dichtesten besiedelte Ort der Welt, knapp 5300 Einwohner lebten hier. Doch als 1974 der Abbau von Kohle unter dem Meer endete, verließen sie ihre Häuser und zogen fort.

Heute stehen auf der Geisterinsel nur noch Ruinen: Von den Gebäuden aus Beton und Stahl sind kahle, fensterlose Gerippe geblieben – mit bröckelnden Fassaden, aus denen Steine und Balkongitter herabfallen. Die Menschen, die hier einst lebten, nannten Hashima „die Insel ohne Grün“. Doch längst hat eine üppige Pflanzenwelt die steinernen Bauten und Straßen erobert.

Alles, was der Mensch errichtet, trägt schon den Keim der Zerstörung in sich.

Gordon Masterton, Professor für Bauingenieurswesen

So wie hier könnte es eines Tages überall auf der Welt aussehen. Niemand weiß, wann es so weit sein wird. Und niemand weiß, wie es dazu kommen wird. Aber dass Metropolen, Städte, Dörfer und Landschaften irgendwann einmal entvölkert sein werden, ist nicht unwahrscheinlich. Die existenziellen Bedrohungen für den Homo sapiens sind zahlreich. Ob Klimawandel, Atomkrieg, ein Asteroid, Viren oder andere tödliche Gefahren: „Die Menschheit wird nicht ewig leben, sondern irgendwann aussterben“, blickt der US-amerikanische Paläontologe Douglas Erwin in die Zukunft. Doch einmal angenommen, es wäre schon morgen so weit – was würde mit unseren Bauwerken geschehen?

„An dem Tag, an dem die Menschheit verschwindet, beginnt die Natur augenblicklich mit dem Hausputz“, schreibt der US-Autor Alan Weisman in seinem Buch „Die Welt ohne uns„. Wie lange dieser Prozess dauert, hängt vom Material der Bauwerke und vom Klima ab. Ewig ist jedoch nichts, erklärt der schottische Bauingenieur-Professor Gordon Masterton: „Alles, was der Mensch errichtet, trägt schon den Keim der Zerstörung in sich.“

Die Schwachstellen unserer Häuser sind die Fenster

Als Erstes gehen die Straßen kaputt. „Eine neu erbaute Straße würde ohne regelmäßigen Unterhalt nach etwa 50 Jahren zerfallen“, heißt es in einer Mitteilung des Tiefbauamtes Zürich. Schon etliche Jahre vorher ist der Asphalt überwuchert, von Unkraut und Klee, die sich lebensnotwendigen Stickstoff aus der Luft filtern.

Früh müssen auch Häuser dran glauben, die aus Holz bestehen. Sie vermodern und werden von Pilzen, Käfern oder Termiten zersetzt, bis sie nach 100 bis 200 Jahren verschwunden sind. Steinbauten halten länger, aber auch ihr Verfall beginnt bald – wann hängt vor allem von den Fenstern ab. Deren elastischer Dichtungskitt trocknet nach etwa 30 Jahren aus. Metallrahmen dehnen sich bei Hitze und schrumpfen bei Kälte; Kunststoffrahmen enthalten Weichmacher, die von der Sonne zersetzt werden. Irgendwann fallen die ersten Scheiben heraus. Hinein dringen Feuchtigkeit und vom Wind getriebene Pflanzensamen, sie dringen in Ritzen ein und machen sich breit. „Wenn Fenster zu Bruch gehen, kommt die Natur zurück“, erklärt Christoph Gehlen vom Centrum Baustoffe und Materialprüfung der Technischen Universität München.

Lost Places wird es in Zukunft immer häufiger geben

Wenn nach spätestens 80 Jahren die Dachziegel zerbrechen, beschleunigt sich der Verfall. Feuchtigkeit zerstört Gebälk, Fußböden, Leitungen. Mauerfugen werden rissig, Wurzeln entwickeln sich in Spalten zu Hydraulikpressen und sprengen Wände. Ohne menschliche Fürsorge droht sogar stabilen Hängebrücken mit dicken Stahlseilen das Ende. Sie müssen regelmäßig repariert werden. So wie die Golden Gate Bridge, um die sich ein Trupp von 60 Mitarbeitenden kümmert, die rostige Schrauben und Bolzen ersetzen. Hinzu kommen 40 Maler und Malerinnen, die immer wieder reparaturbedürftige Stellen ausbessern und jährlich mehr als 15 000 Liter Farbe verbrauchen. (Dass sie mit dem Streichen sofort wieder von vorn anfangen, sobald sie am Ende angelangt sind, ist übrigens nur ein Gerücht.) Ohne sie würde San Franciscos berühmte Brücke keine 200 Jahre halten. Vorher rosten und reißen ihre stählernen Seile, und sie stürzt ins Meer. „Wenn es allerdings permanent warm und trocken ist, können Bauwerke sehr lange halten“, sagt Christoph Gehlen. So wie die vor 4500 Jahren errichteten ägyptischen Pyramiden: „Ohne die Schweißausdünstungen der Besucher würden sie Jahrtausende überstehen.“

Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
Sarah arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, unter anderem für „P.M.“ und „National Geographic“. Zum Journalismus kam sie über ihr Studium Modejournalismus / Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem beruflichen Weg sammelte sie auch Erfahrungen im Bereich Film und Fernsehen sowie im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.
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