(Text: Astrid Viciano)
Mal sehen die Patienten plötzlich alle anwesenden Menschen riesenhaft in die Höhe wachsen, mal schrumpft das Gegenüber oder nimmt abstruse Formen an. Mediziner sprechen bei diesen Halluzinationen von einer Makropsie, einer Mikropsie oder einer Metamorphopsie. Sie allesamt können Betroffene natürlich sehr ängstigen und Ärztinnen und Ärzte verfrüht zu der Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung verleiten.
Die Symptome sind typische Anzeichen des Alice-im-Wunderland-Syndroms, benannt nach dem im Jahr 1865 erschienenen Kinderbuch. Der Verfasser, der britische Schriftsteller Lewis Carroll, litt vermutlich an ähnlichen Eindrücken. Und nahm seine persönlichen Erfahrungen als Inspiration für seine berühmte Erzählung. Wer erinnert sich nicht daran, wie das Mädchen Alice auf der Suche nach dem weißen Kaninchen zunächst winzig klein wird, dann später wieder riesig groß.
Migräne und Co.: Wann das Alice-im-Wunderland-Syndrom auftreten kann
Bei Migräne zum Beispiel kann es zu diesen Halluzinationen kommen. Sie werden jedoch auch bei Patienten mit Infektionen des Gehirns beschrieben, etwa mit Epstein-Barr-Viren, Coxsackie-Viren oder Varicella zoster (Windpocken). Auch bei Hirntumoren, Verletzungen der Netzhaut oder einer Epilepsie, deren Ursprung im Stirnlappen liegt, können die Symptome auftreten.
Wie es dann genau zu den Halluzinationen kommt, ist noch unklar. »Wir müssen unsere Patienten daher stets ernst nehmen, auch wenn sie mit höchst merkwürdigen Symptomen zu uns kommen«, sagt Petra Zwijnenburg, Kinderärztin und klinische Genetikerin an der Klinik der Freien Universität Amsterdam. Sie hat bereits über solche Patienten in der medizinischen Fachliteratur berichtet. Erst wenn alle organischen Ursachen ausgeschlossen wurden, sollten Mediziner eine psychiatrische Erkrankung in Erwägung ziehen: eine Psychose.
Der Artikel ist in der Ausgabe 06/2021 von P.M. Fragen & Antworten erschienen.