(Interview: Torben Müller)
Hand aufs Herz, Herr Meinunger, was ist Ihr meistgebrauchter Fluch?
»Scheiße«! Und das ist garantiert bei den meisten Deutschen so. Wenn man jemanden beschimpft, ist häufigste Begriff sicher »Arsch« oder, in der härteren Variante, »Arschloch«. Beim Fluchen oder Schimpfen ist für uns nun einmal der sogenannte Quellbereich das Fäkale, auch das Skatologische genannt. Quellbereiche sind die Teile des Wortschatzes, die mit Tabus zusammenhängen, also eben Fäkalien oder auch Sex.
Wie kommt es, dass wir in der deutschen Sprache beim Fluchen mit Vorliebe tief ins Klo greifen?
Es gibt diese volkspsychologischen Erklärungsansätze aus dem 19. Jahrhundert. Die sagen, jede Gesellschaft sei wie ein Individuum. Und wie ein Mensch entwickele die Gesellschaft ihre Sexualität. Demnach gibt es verschiedene Phasen, und wir Deutschen stecken in der analen Phase – und gebrauchen deshalb mit Vorliebe entsprechende Ausdrücke. Aber das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich glaube vielmehr, dieser Hang zum Exkrementellen bei uns in der Sprache ist einfach Zufall. Und vermutlich gab es ihn schon immer, also auch schon im Alt- und Mittelhochdeutschen.
Ist diese Vorliebe im Deutschen denn überhaupt etwas Besonderes? Im Französischen flucht man »merde«, im Englischen »shit«.
Das stimmt. Und dennoch ist es bei uns etwas anderes. Wenn wir uns die Sprachgemeinschaften ansehen, die mit unserer am nächsten verwandt sind, also die Niederländer, Engländer oder Skandinavier, finden wir dort andere Quellbereiche. Im englischsprachigen Raum steht das Sexuelle im Vordergrund, bei den Skandinaviern interessanterweise das religiös Motivierte – also Tod und Teufel, Satan,Hölle, Mythisches, die Angst vor höheren Mächten. Und bei den Niederländern dern spielt Krankheit eine sehr prominente Rolle, Sachen wie Pest, Pocken, Typhus und Krebs.
Aber was fasziniert uns so sehr an Wörtern wie »Scheiße«, dass wir sie so oft benutzen?
Zum einen ist das Fäkale tabuisiert. Man verrichtet die Notdurft so, dass es niemand sieht. Das ist etwas, das nicht in die Öffentlichkeit gehört. Zum anderen – aber auch genau deswegen – sind das Bereiche, die mit Emotionen zu tun haben. Wenn wir fluchen oder schimpfen, wollen wir oft jemanden emotional berühren oder verletzen. Deshalb brauchen wir solche Wörter. Je unangenehmer oder schlimmer etwas ist, desto mehr Kraft haben die entsprechenden Ausdrücke – und dann nutzen wir die.
Existieren erkennbare Unterschiede zwischen Frauen und Männern beim Fluchen?
Frauen sollen zurückhaltender sein, aber die Studien widersprechen sich da. Ich habe folgende These: Schimpfen und Fluchen ist verbale Aggression, und die aggressivste Bevölkerungsgruppe sind die ganz jungen Männer. Ich glaube, das sind die, die am häufigsten und am liebsten fluchen. Aber grundsätzlich fluchen und schimpfen wir alle, das ist ganz normal. Und es hat auch keinen Zweck, wenn Eltern oder Erziehungskräfte versuchen, so etwas zu unterbinden. Das nützt überhaupt nichts, höchstens einen Moment lang, und auf die Dauer erreicht man das Gegenteil. Denn grundsätzlich lebt die Schimpfkultur sogar davon, dass das Fluchen immer wieder verboten wird. Dass es als etwas gilt, das man nicht tun soll, gibt dem Ganzen die Kraft.
Das Interview ist in der P.M.-Zusatzausgabe »Alles Scheiße – Die Erforschung eines Tabuthemas« erschienen. Das Heft erhalten Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop.