In den entlegenen Weiten der Arktis, wo die Temperaturen eisig sind und die Landschaft von einer scheinbar endlosen Tundra dominiert wird, vollzieht sich eine Veränderung: Eine Entwicklung, bekannt als „Arctic Greening“ – die arktische Begrünung –, hat weitreichende Auswirkungen auf das fragile Ökosystem der Arktis und könnte bedeutende Folgen für das globale Klima haben.
Vor einigen Jahren machte das Klimawandel-Phänomen „Arctic Greening“ Schlagzeilen: Die karge Tundra der Arktis wird zunehmend grüner; ein um 38 Prozent verstärkter Bewuchs war auf Satellitenaufnahmen zu erkennen. Dass die Arktis ihr typisches Erscheinungsbild verliert, liegt an den milder werdenden Temperaturen, die das Wachstum der Vegetation fördern.
Durchschnittstemperaturen: „Kleine Schwankung – große Wirkung“
Das Phänomen des „Arctic Greening“, also das zunehmende Pflanzenwachstum in den ehemals kargen arktischen Regionen, hat das Potenzial, das globale Klima und die Umwelt nachhaltig zu beeinflussen. Langfristig könnte die Ausbreitung von Vegetation in diesen Gebieten dazu beitragen, die Albedo, also das Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche, zu verringern. Schneeflächen und Eis reflektieren einen Großteil des Sonnenlichts effektiv zurück ins Weltall, doch wenn sie von Pflanzen abgelöst werden, die mehr Wärme absorbieren, kann dies einen selbstverstärkenden Effekt der Erwärmung nach sich ziehen. Zwar trägt das verstärkte Pflanzenwachstum dazu bei, dass mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre gebunden wird, was positiv für den Klimaschutz erscheint. lau Forschenden reicht jedoch die Menge an neuem Pflanzenwachstum nicht aus, die negativen Auswirkungen zu decken.
Arctic Greening ist wohl eher eine Herausforderung mit Risiken
Die erhöhte Vegetation kann auch verschärfend wirken, wenn durch die Erwärmung Permafrostböden auftauen und erhebliche Mengen an Methan freisetzen – ein Treibhausgas mit einer weitaus höheren Klimawirkung als CO2. Zudem wirkt sich die Verschiebung von Ökosystemen auf die Biodiversität und das natürliche Gleichgewicht aus, was zu Veränderungen in Nahrungsketten und Lebensräumen führt und dadurch die Resilienz gegen weitere klimatische Veränderungen schwächen könnte. Das „Arctic Greening“ ist somit ein komplexes Phänomen mit einer Vielfalt an langfristigen Auswirkungen, die sowohl lindernde als auch verschlimmernde Effekte auf das Klima und die Umwelt haben können.
Die Arktis wirkt auch als mächtiger Ozeanstrommotor, der durch das Absinken von kaltem, salzhaltigem Wasser im Zuge des thermohalinen Kreislaufs, insbesondere im Rahmen der Atlantikzirkulation (auch bekannt als AMOC – Atlantischer meridionaler Umwälzzirkulation), die globalen Klimaverhältnisse beeinflusst. Das Abschmelzen von Eis und das größere Süßwasseraufkommen könnten diesen wichtigen Zirkulationsmechanismus schwächen oder verändern, was weitreichende Konsequenzen für das Klima auf der gesamten Nordhalbkugel haben könnte.
Die Arktis zeigt auf, wie sich das Klima global verändern wird
Zusätzlich ist die Arktis ein Indikator für Klimaveränderungen. Wegen der dort vorherrschenden extremen Bedingungen reagiert die regionale Umwelt sehr sensibel auf klimatische Schwankungen. Änderungen, wie das Auftreten von „Arctic Greening“ oder das Schmelzen des Meereises, können frühzeitig aufzeigen, in welchem Ausmaß sich die globale Erwärmung auf die Erde auswirkt.
Die Arktis ist aufgrund dieser Funktionen nicht lediglich ein passiver Teil des globalen Klimasystems, sondern ein aktiver Akteur, der die atmosphärischen und ozeanischen Prozesse weltweit beeinflusst. Der Wandel, der in der Arktis vor sich geht, ist also ein Schlüssel für das Verständnis globaler Klimaveränderungen und für die Entwicklung von Strategien zur Eindämmung der Klimakrise.
Auch die Alpen sind von „Arctic Greening“ sind betroffen
Neuesten Erkenntnissen zufolge wächst jedoch nicht nur die arktische Weite zu. In luftiger Höhe zeigen sich dieselben Veränderungen noch viel deutlicher: Hoch oben in den Alpen, wo früher nur die zähesten Kräuter gediehen, macht sich inzwischen normales Grün breit. Forschende der Universitäten Lausanne und Basel in der Schweiz haben Satellitenaufnahmen aus den Jahren ab 1984 verglichen. Ihre Arbeit ist im Fachblatt „Science“ erschienen. Ergebnis: fast 80 Prozent mehr grüne Vegetation oberhalb der Baumgrenze.
Der größte Zuwachs findet auf rund 2.300 Höhenmetern statt. Dort, wo Durchschnittstemperaturen normalerweise knapp über dem Gefrierpunkt liegen, gilt das Motto „Kleine Schwankung, große Wirkung“: Kritische Grenzwerte sind schnell erreicht. Schneefreie Stellen am Berg sind übrigens nicht der Grund. Zwar zieht sich die Schneedecke zurück, diese Veränderung beträgt jedoch in den untersuchten Höhenlagen nur zehn Prozent.
Hinter dem grünen Wachstumsschub steckt vielmehr erneut der genannte Temperaturanstieg, der die Vegetationsperioden verlängert. Gleichzeitig sorgt das Tauwetter für die nötige Bewässerung. Auf der Strecke bleiben dabei die typische Alpenflora mit Edelweiß und anderen Spezialisten, die zwar die alpine Kargheit aushalten, jedoch nicht den Konkurrenzdruck durch schnell wachsende Pflanzenarten verkraften.