»Crazy Shit«: Warum ekeln wir uns vor Exkrementen?

von
Person, Art, Drawing
Illustration: © Anja Stiehler-Patschan
Viele Menschen haben ein Gefühl des Ekels gegen Ausscheidungen. Der Hygieneforscher Robert Aunger erklärt in der aktuellen Ausgabe von P.M. Thema »Alles Scheiße - Die Erforschung eines Tabuthemas«, warum das so ist

(Interview: Torben Müller)

Kaum etwas erregt in uns ein heftigeres Gefühl des Ekels als Exkremente. Woran liegt das?

Fäkalien sind eine hochkonzentrierte Quelle schädlicher Keime. Diese können viele verschiedene Krankheiten auslösen, vom einfachen Durchfall bis zur Cholera. Menschen haben natürlicherweise ein Gefühl des Ekels dagegen entwickelt, um zu vermeiden, dass solche Erreger nach dem Ausscheiden wieder in unseren Körper gelangen. Uns widert allein schon der Geruch an – der Geschmack vermutlich erst recht, ich habe es nie probiert. So fällt uns gar nicht erst ein, auf irgendeine Weise mit Exkrementen in Kontakt zu kommen, nachdem sie den Körper verlassen haben. Und genau das ist die Funktion, sozusagen der Motor, des Ekels. 

Unsere heftige Abneigung ist also berechtigt? 

Absolut. In der Natur entwickelt sich nichts ohne einen evolutionären Sinn. In diesem Fall ist der Sinn, uns vor gefährlichen Keimen zu schützen. Es ist schwer zu sagen, ob Ekel eine unserer stärksten Empfindungen ist, denn das hängt von der Situation ab. Zumindest gehört er sicher zu den ältesten. Selbst Bakterien können sich in gewisser Weise ekeln – wenn auch nicht auf einer Gefühls-, sondern auf einer Verhaltensebene. Sie wissen, wie sie den Kontakt mit feindlichen Bakterien und Viren vermeiden können. 

Kleine Kinder spielen manchmal mit ihrem Kot oder untersuchen ihn genau. Anscheinend fühlen sie sich nicht angeekelt. Da stellt sich die Frage: Wird uns dieses Gefühl von unserem Umfeld anerzogen? 

Nein, ich denke, dieser Ekel vor Exkrementen ist uns angeboren. Die meisten von uns widert bereits in jungen Jahren allein schon der Geruch an. Allerdings neigen Kinder dazu, vieles auszuprobieren. Und bei manchen von ihnen überwiegt in diesem Fall die Neugier ihre Abscheu. 

Art, Drawing, Person
Hygieneforscher Robert Aunger ist Associate Professor für Evolutionary Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine Illustration: © Anja Stiehler-Patschan

Selbst ohne diese kindliche Neugier machen wir beim Ekel vor Darminhalten feine Unterschiede. So kann ich meinen eigenen Mief auf der Toilette besser aushalten als den meines Vorgängers. Wieso finde ich nicht beides gleich abstoßend? 

Vermutlich weil uns fremde Fäkalien deutlich gefährlicher erscheinen als unsere eigenen. Wir haben im Laufe unseres Lebens gelernt, dass wir das Ausscheiden unserer eigenen potenziell im Kot vorhandenen Krankheitserreger überleben. Der Kontakt mit fremden Fäkalien birgt dagegen das Risiko, sich mit bislang für unseren Organismus unbekannten Keimen zu infizieren. Ich glaube nicht, dass die Abneigung etwas mit dem individuellen Körpergeruch einer Person zu tun hat. Der Gestank des Kots wird maßgeblich von der organischen Masse der verdauten Lebensmittel hervorgerufen und den Keimen darin, die bestimmte Chemikalien absondern. Sowohl die Lebensmittel als auch die Keime in unseren eigenen Ausscheidungen sind unserem Körper bekannt – im Gegensatz zu den Inhalten der fremden Exkremente.

Manche Menschen, etwa Pflegekräfte im Krankenhaus oder Altenheim, haben oft täglich mit fremden Fäkalien zu tun. Wie schaffen sie es, ihren Ekel zu überwinden? 

Jedes menschliche Verhalten basiert auf dem Abwägen verschiedener Motive. Pflegekräfte müssen ständig mit ekligen Situationen zurechtkommen, aber sie haben ein sehr starkes Motiv des Kümmerns, Helfens und Versorgens. Deshalb haben sie ihren Beruf gewählt. Und dieses Motiv überwiegt den Ekel. Außerdem können wir uns in einem bestimmten Maß an eklige Situationen gewöhnen. Und so fällt es nach Hunderten Malen meist leichter, einem bedürftigen Menschen den Po abzuwischen oder die Windel zu wechseln, als beim ersten Mal.

Das Interview ist in der P.M.-Zusatzausgabe »Alles Scheiße – Die Erforschung eines Tabuthemas« erschienen. Das Heft erhalten Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop.

Die P.M.-Redaktion besteht aus einer Hauptredaktion und einer Vielzahl freier Autorinnen und Autoren. Die Magazine „P.M.“, „P.M. Schneller schlau“ und „P.M. History“ erscheinen monatlich und beschäftigen sich mit Themen rund um Physik, Chemie, Biologie, Natur, Psychologie, Geschichte und vielen mehr.
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