Die Horror-Raupe von Hawaii

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Die fleischfressende Knochensammler-Raupe aus Hawaii tarnt sich mit den Überresten ihrer Beute – kunstvoll in einen Seidenpanzer eingewoben. Foto: Rubinoff Lab/University of Hawaii
Gehüllt in Knochen

Wenn Hollywood je eine Insektenfigur für den nächsten Gruselfilm sucht, muss es diese hier sein: die Knochensammler-Raupe. Was klingt wie der Titel eines Stephen-King-Romans, ist eine reale Spezies, entdeckt im dichten Bergwald von Oʻahu, Hawaii. Und sie hat es in sich. Nicht nur, dass sie zu den extrem seltenen fleischfressenden Raupen gehört – sie tarnt sich auch mit den Leichenteilen ihrer Opfer.

Wer denkt, dass Raupen brav an Blättern knabbern, sollte dieser Art besser nicht begegnen. Die Larven der Gattung Hyposmocoma, zu der die Knochensammler-Raupe zählt, ernähren sich von Insekten, die sich in Spinnennetzen verfangen haben – oder einfach nicht schnell genug sind. Ihre Lieblingsspeise: Käfer, Ameisen, kleinere Artgenossen. Ja, selbst vor Kannibalismus schrecken sie nicht zurück. Ist ein Geschwisterchen kleiner geraten, wird es kurzerhand verspeist.

Doch damit nicht genug. Die Raupe lebt nicht irgendwo im Gebüsch – sondern mitten im Netz ihrer natürlichen Feinde: Spinnen. Wie überlebt man da? Indem man sich tarnt. Genauer gesagt: mit den Überresten ihrer Beute. Die unverdaulichen Körperteile – etwa Beinchen oder Panzersplitter – werden nicht etwa lieblos weggeschmissen, sondern präzise vermessen, bearbeitet und in einen seidigen Kokon eingewebt. Ein bizarrer Mix aus Design und Grusel.

Die Tarnung ist so effektiv, dass die Spinnen sie nicht als Eindringling erkennen – und sie munter weiter Beutetiere aus den Spinnennetzen klauen kann. Damit ist die Knochensammler-Raupe nicht nur Jägerin, sondern auch Diebin. Eine Art parasitärer Ninja im Tarnumhang aus Leichenteilen.

Dass ausgerechnet Hawaii Heimat dieser skurrilen Kreatur ist, überrascht Biologen wenig. Die abgelegene Inselgruppe hat durch ihre Isolation viele erstaunliche Arten hervorgebracht – von Libellen, die an Land leben, bis hin zu Spinnen mit Luftakrobatik-Talenten. Karnivore Raupen sind dabei eine absolute Rarität: Von den rund 200.000 bekannten Schmetterlingsarten zeigen gerade mal 0,1 Prozent ein derart räuberisches Verhalten.

Ein gruseliges Naturwunder, das zeigt: Die bizarrsten Monster schreibt manchmal nicht Hollywood – sondern die Evolution.

P.M. Wissen