Es ist ein Wunder aus Stein: Fünf verschnörkelte Türme ragen aus dem Urwald im Norden Kambodschas hervor, als Zentrum einer Tempelanlage aus zigtausend exakt behauenen Felsblöcken, verziert mit Porträts hinduistischer und buddhistischer Gottheiten. Angkor Wat gehört zu den wohl berühmtesten Sakralbauten der Welt, geschaffen für die Ewigkeit.
Zwischen 1113 und circa 1149 ließ König Suryavarman II. den gigantischen Tempelkomplex mit seinem 42 Meter hohen Zentralturm, der die Achse des Universums symbolisiert, als Heiligtum für den Gott Wischnu und als Begräbnisstätte für sich selbst errichten. Dafür musste der Herrscher enorme Ressourcen mobilisieren, Hunderttausende von Arbeitskräften einsetzen und koordinieren.
Eine derartige Leistung konnte nur eine außergewöhnlich mächtige Hochkultur vollbringen. Suryavarman herrschte über das Königreich Kambuja, auch Khmer-Reich genannt, dessen Kapitale Angkor war, übersetzt schlicht »Stadt«. Kambuja erreichte unter Suryavarman um das Jahr 1200 seine größte Ausdehnung, reichte weit bis ins heutige Thailand, Vietnam und Laos, bis hin nach Myanmar und Malaysia.
Die Anfänge dieses Imperiums liegen im Dunkeln. Fest steht aber: Im Lauf des 9. Jahrhunderts wurde das Gebiet, das in zahlreiche Kleinfürstentümer zersplittert war, geeint, um das Jahr 900 herum Angkor gegründet, das für 500 Jahre fast ununterbrochen die Hauptstadt bleiben sollte. Dieses Angkor gilt als größte vorindustrielle Stadt der Welt, mit 600 000 bis einer Million Einwohnern, so die Schätzungen.
Der Wohlstand der Khmer hing vom Wasser ab. Der rechtwinklige Wassergraben um Angkor Wat herum war Sinnbild für den Urozean, aus dem alles Leben entstand. Auf schnurgeraden Kanälen transportierten die Einwohner mit Flößen Steinblöcke für die Tempel fast bis auf die Baustelle. Vor allem aber braucht Reis, die Hauptnahrung der Khmer, sehr viel Wasser.
Der Urwald eroberte sich die Stadt zurück
Ab dem 14. Jahrhundert verfiel das Großreich allmählich. Seine Könige zogen oder flohen nach Süden, wo sie von der heutigen Kapitale Phnom Penh aus über ein bescheidenes Gebiet herrschten. Angkor verödete, der Urwald eroberte sich die Stadt und die Tempel zurück. Warum das Reich so sang- und klanglos unterging, ist bis heute ein Rätsel. Wahrscheinlich kamen mehrere Faktoren zusammen: Im 14. und 15. Jahrhundert überfielen die Thai, feindliche Nachbarn, mehrmals das Angkor-Reich. Mittlerweile konnten Forscher aber auch Klimaschwankungen in Angkor und Umgebung für jene Zeit nachweisen: So wechselten sich Dürreperioden und extreme Monsunregenfälle ab. Möglicherweise haben sie das überlebenswichtige Bewässerungssystem zerstört.