Genschere CRISPR/Cas9: Das Gotteswerkzeug

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Foto (C):Stephen Dixon / Feng Zhang
Foto (C):Stephen Dixon / Feng Zhang
Die Genschere CRISPR/Cas9 revolutioniert die Lebenswissenschaften und lässt die Heilung von Erbkrankheiten in greifbare Nähe rücken. Nun erhalten ihre Entdeckerinnen den Chemie-Nobelpreis.

Text: Andrea Bannert

Vor acht Jahren präsentierten zwei Wissenschaftlerinnen, Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, der Wissenschaft erstmals ein molekulares Multifunktionswerkzeug, mit dem sich das Erbgut von Lebewesen einfacher, schneller, billiger und präziser verändern lässt als je zuvor: das CRISPR/Cas9-System. Nun wurden sie für ihre Entwicklung mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. „Dieses machtvolle genetische Werkzeug wird unser aller Leben beeinflussen. Es hat nicht nur die Grundlagenforschung revolutioniert, sondern auch innovative Nutzpflanzen hervorgebracht, und es wird zu bahnbrechenden neuen Behandlungen in der Medizin führen“, sagte Claes Gustafsson, Vorsitzender des Nobelpreis-Komitees.

Foto (C): Imago
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Die Gewinnerinnen des Chemie-Nobelpreises: Emmanuelle Charpentier (links) und Jennifer Doudna

Mit Hilfe der Genschere lässt sich nicht nur Grundlagenforschung betreiben. Sie macht es möglich, dass Einzeller mit maßgeschneiderten Genen als lebende Fabriken Biotreibstoffe oder Medikamente produzieren. Ziel von Saatgut-Konzernen sind genetisch optimierte, genügsame und widerstandsfähige Pflanzen. Wissenschaftler züchten durch Einsatz des molekularen Werkzeugs Moskitos, die gegen den Malaria-Erreger immun sind oder Erbanlagen zur Unfruchtbarkeit besitzen, die eine gesamte Population vernichten können.

Die größten Hoffnungen ruhen jedoch auf der Verwendung von CRISPR/Cas 9 in der Medizin. Die Erbgutschere soll genetische Defekte heilen, die uns krank machen. Nicht nur angeborene Krankheiten wie Muskeldystrophie und Mukoviszidose könnten behandelt werden. Auch das Risiko für Krebs, Alzheimer, ja sogar Herz-Kreislauf-Erkrankungen ließe sich theoretisch mit Gentherapien senken.

Bis zum Siegeszug von CRISPR/Cas9 waren Veränderungen am Erbgut extrem aufwendig und kompliziert. Für jedes Ziel-Gen mussten maßgeschneiderte Werkzeuge entwickelt werden. »Wir hatten zwar Proteine, die DNA schneiden konnten, aber diese Proteine sprechen nicht die gleiche Sprache wie die DNA. Es war schwierig, sie an die richtige Stelle zu schicken«, erklärt Jacob Corn, wissenschaftlicher Direktor der Innovative Genomics Initiative an der University of California in Berkeley. Früher dauerte es zwei Jahre, eine Maus genetisch zu manipulieren. Mit CRISPR/Cas9 gelingt Wissenschaftlern das gleiche Experiment innerhalb weniger Wochen.

Wunderwerkzeug aus Bakterien

Cas9 ist eine molekulare Schere, an die ein maßgeschneidertes Erbgutschnipselchen geheftet werden kann. Dieser Schnipsel lotst das Enzym exakt zu jener Stelle der DNA, die geschnitten werden soll. Ist der Erbgutstrang durchtrennt, schleusen manche Forscher neues Erbgut in die Zelle, damit es an der geschnittenen Stelle eingebaut wird. Andere setzen auf Fehler: Immer wenn in der DNA ein Schnitt entsteht, startet die Zelle einen Reparaturvorgang – und macht dabei manchmal etwas falsch. Die Folge einer solchen Mutation: Das Gen wird stillgelegt.

Die Erbgutschere ist jedoch keine Erfindung von Forschern, sondern ein Werkzeug der Natur. Sie ist Teil des ausgeklügelten Immunsystems von Bakterien, wie Emmanuelle Charpentier entdeckte. Denn auch Bakterien können sich Viren einfangen. Sind sie infiziert, bauen die Mikroorganismen Teile der Virus-DNA in ihr eigenes Erbgut ein – und zwar in die sogenannten CRISPR-Bereiche. Nun kennen die Bakterien den Feind. Versucht er ein zweites Mal einzudringen, produzieren sie eine Erkennungssequenz – jenen Erbgutschnipsel, der Cas9 zum Ziel lotst. Die molekulare Schere dockt an die Erbinformation des Virus an, zerschneidet sie und macht den Eindringling dadurch unschädlich. Charpentier und Doudna gelang es, das bakterielle System im Labor herzustellen. Mehr noch: Sie entwickelten es weiter, sodass es jegliche DNA an einer beliebigen Stelle schneiden konnte.

Grafik (C): IGTRCN
Grafik (C): IGTRCN

So funktioniert die Genschere CRISPR/Cas9

Trotz der großen Hoffnungen, die in die Genscheren gesetzt werden: Die Technologie birgt Risiken. Wer die DNA von Lebewesen verändert, läuft immer Gefahr, Mutationen zu erzeugen, die zum Beispiel Krebs auslösen könnten. »Genscheren ermöglichen, die DNA viel genauer zu korrigieren, weil wir mit diesen Werkzeugen einen Großteil der Schnitte an einer bestimmten Stelle setzen können«, sagt Boris Fehse, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie und Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie an der Klinik für Stammzelltransplantation. Doch die molekulare Schere funktioniert nicht immer präzise: In seltenen Fällen zerschneidet sie die DNA außerhalb der Zielsequenz. Besonders bei medizinischen Anwendungen ist das ein ernstzunehmendes Risiko für die Patienten. »Bei CRISPR ging es wahnsinnig schnell von der Entdeckung der Genschere bis zu den ersten klinischen Studien. Aber es gibt noch einige Probleme zu lösen«, so Fehse.

Bei CRISPR ging es wahnsinnig schnell von der Entdeckung der Genschere bis zu den ersten klinischen Studien.

Boris Fehse, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie

Genscheren testen Mediziner aktuell in mehreren klinischen Studien. Im September 2018 startete in Deutschland eine erste klinische Untersuchung mit einer CRISPR/Cas9-Gentherapie gegen Thalassämie, einer Erbkrankheit, bei der die roten Blutkörperchen nicht ausreichend Sauerstoff in den Körper transportieren. Weitere Studien mit menschlichen Probanden laufen etwa für die Behandlung von Sichelzellanämie, ebenfalls eine Erkrankung des Blutes, schweren Formen angeborener Immunschwäche oder Netzhautstörungen.

Ethische Bedenken: Gibt es bald Designer-Babys?

Wer Erbinformationen gezielt verändern kann, dem ist die Vision vom Designer-Baby nicht fremd. Zwar sind die Forscher weit davon entfernt, Intelligenz oder Charakter beeinflussen zu können, weil sie von zu vielen – beileibe nicht nur genetischen – Faktoren abhängen. Aber mit CRISPR/Cas9 ist es denkbar, Embryonen genetisch zu optimieren – vorausgesetzt, sie werden in der Petrischale gezeugt. Der chinesische Forscher He Jiankui nutzte die CRISPR/Cas9-Technologie im November 2018, um ein Gen im Erbgut von zwei Embryonen auszuschalten. Es soll die beiden gesund geborenen Zwillingsmädchen vor einer HIV-Infektion schützen.

Forscher in aller Welt verurteilten Hes Experiment. »Beim aktuellen Wissensstand ist es unverantwortlich und ethisch nicht vertretbar, Veränderungen an Embryonen vorzunehmen«, sagt Fehse. Jennifer Doudna selbst warnt bereits seit Jahren öffentlich vor solchen Anwendungen. Ihr Credo: Gerade weil CRISPR/Cas9 solch ein machtvolles Werkzeug ist, muss es vorsichtig und verantwortungsvoll eingesetzt werden.

Einen ausführlichen Artikel über Gentherapien finden Sie in P.M. Ausgabe 08/2020.

Die P.M.-Redaktion besteht aus einer Hauptredaktion und einer Vielzahl freier Autorinnen und Autoren. Die Magazine „P.M.“, „P.M. Schneller schlau“ und „P.M. History“ erscheinen monatlich und beschäftigen sich mit Themen rund um Physik, Chemie, Biologie, Natur, Psychologie, Geschichte und vielen mehr.
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