Aus Anthropologie und Evolutionsbiologie hört man oft von einer klaren Rollenverteilung in den steinzeitlichen Jäger und Sammler Kulturen: Die Jagd war Aufgabe der Männer, die darin dank ihrer größeren Kraft vermeintlich besser waren. Das Sammeln von Beeren und anderer Nahrung dagegen sei eher den Frauen vorbehalten gewesen, die es etwas ruhiger und sicherer angehen ließen und sich zudem um die Kinder und das heimische Lager kümmerten. Aber war das wirklich so? Verhaltensstudien unter heutigen, zurückgezogen in der freien Natur lebenden Volksstämmen, die nach wie vor eine Jäger und Sammler Kultur ohne modernen Schnickschnack pflegen, lassen Zweifel aufkommen.
Die Geschlechter waren lange klar in Jäger und Sammler aufgeteilt
Solche Stämme gelten als Fenster in die Vergangenheit, sie zeigen heute noch Verhaltensweisen, wie sie zumindest teilweise mutmaßlich auch unsere Vorfahren vor der Entwicklung von Viehzucht und Ackerbau an den Tag legten. Forschende um Cara Wall-Scheffler, Evolutionsbiologin an der Seattle Pacific University in den USA, haben nun insgesamt 391 solcher Verhaltensstudien der letzten 200 Jahre zu Jäger und Sammler Völkern auf der ganzen Welt zusammengetragen und auf Aussagen zur Rollenverteilung bei der Jagd geprüft. 63 der untersuchten traditionell lebenden Volksstämme gingen auch auf die Jagd. Und bei 50 von diesen – also knapp 80 Prozent – taten dies Frauen genauso wie Männer.
Die Theorie um Jäger und Sammler wurde von Forschenden widerlegt
Und zwar mit voller Absicht, nicht nur, weil sie etwa beim Sammeln von einem Wildtier bedroht wurden. Tatsächlich hatten viele der Verhaltensforschenden sogar beobachtet, dass Frauen die vielfältigeren Waffen und Jagdtaktiken einsetzten als die Männer. Womöglich weil sie durch mehr Kreativität ihre mangelnde Kraft kompensierten? Jedenfalls, so die neue Übersichtsstudie, gingen Frauen in Stämmen, bei denen die Jagd im Vordergrund des Daseins stand, sogar zu 100 Prozent mit. Offenbar spielten Geschick und Erfahrung die wichtigere Rolle bei der Jagd: „Die Omas waren oft die besten Jagenden im Dorf.“, sagt Cara Wall-Scheffler.
Stellt das Widerlegen von Jäger und Sammler auch heutige patriarchale Strukturen in Frage?
Schon 2020 wurden Ergebnisse einer Forschung veröffentlicht, in denen sich Knochen eines in den Anden gefundenen Jägers als die einer Frau, also einer Jägerin herausgestellt haben. Als daraufhin noch weitere Ruhestätten untersucht wurden, kam man zu dem Ergebnis, dass von 27 Menschen, die mit Jagdwerkzeug begraben wurden, elf weiblich und 15 männlich waren. Vor über 9000 Jahren gingen dort also auch Frauen auf die Großjagd.“Das steht in krassem Gegensatz zu rezenten Jäger und Sammler-Gesellschaften und sogar zu landwirtschaftlichen und kapitalistischen Gesellschaften, in denen die Jagd eine ausgesprochen männliche Domäne mit einer geringen Beteiligung von Frauen ist“, so Randall Haas von der University of California in Davis, der mit seinem Team an den Forschungen arbeitete. „Wir glauben, dass diese Ergebnisse angesichts der aktuellen Diskussionen über geschlechtsspezifische Arbeitspraktiken und Ungleichheit besonders aktuell sind“, sagt er weiter.