Oprah Winfrey: Die Geschichte der „Queen Of Talk“

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Foto (C): REUTERS / Larry Downing
Als einfühlsame Moderatorin und Beichtmutter der Nation hat es Oprah Winfrey zur Milliardärin gebracht. Ihre traumatische Kindheit und Jugend waren dabei ihr wichtigstes Kapital

Es ist ihr Meisterstück. Die Quintessenz aus 40 Jahren Tränen und Umarmungen, aus Seufzen, Lachen, Innehalten. Für die nächsten Stunden wird Oprah Winfrey die anteilnehmende Freundin sein – nicht nur für das geflohene Prinzenpaar, das vor ihr auf der Terrasse sitzt, die Augen feucht, die Wangen gerötet. Sondern für alle 17,1 Millionen US-Zuschauer, die an diesem Abend des 7. März 2021 zugeschaltet sind. Und für die 11,3 Millionen Briten gleich mit, die das Spektakel am Abend darauf atemlos verfolgen werden, um endlich zu erfahren, was Prinz Harry und seine Frau Meghan in die USA getrieben hat, fort von hämischer Presse und heimtückischem Königshaus.

Die emotionale Abnahme der Generalbeichte vor laufender Kamera hat inzwischen Tradition. Im Englischen gibt es dafür sogar schon den Begriff „Oprahfication“. Mit einem Vermögen von geschätzten 2,7 Milliarden Dollar ist Winfrey reicher als Harrys Großmutter, die Queen. Im kalifornischen Montecito residiert sie in einer 52-Millionen-Dollar-Villa auf 17 000 Quadratmetern Grund, die sie „Das gelobte Land“ nennt. Auf der Insel Maui, Hawaii, betreibt sie eine Gärtnerei.

Foto (C): Sun-Times Media / Chicago History Museum

Oprah interviewt Chicagos erste schwarze Schulinspektorin Ruth Love, Juli 1984

In der öffentlichen Wahrnehmung schafft sie den unglaublichen Spagat: Sie lebt im Luxus, trifft die ganz großen Stars, ist mit den Obamas befreundet – und ist trotzdem immer noch dieselbe. Gärtnert, liest und trinkt nachmittags um vier am liebsten eine Tasse Chai mit aufgeschäumter Mandelmilch.

Oprah Winfrey: Volkes Stimme

Oprah Winfrey, 67 Jahre alt, ist Volkes Stimme. Ein Status, den sie sich als afroamerikanische Frau in einer Männerdomäne über Jahrzehnte hart erkämpft hat. Ihr Geheimnis: ihre ungebremste Emotionalität und Empathie. Und ihre unverschämte Indiskretion. Zu ihr kommt jeder mit vollem Herzen: Tom Cruise gebärdet sich 2005 wie ein Irrer, als er ihr seine Liebe zu Katie Holmes gesteht. 2009, drei Jahre vor ihrem Tod, erzählt die Sängerin Whitney Houston mit heiserer Stimme von Drogennacht und Ehehölle. Und Meghan und Harry berichten Oprah zu deren großem Entsetzen („WHAT???“), dass die britische Königsfamilie darüber diskutiert habe, wie dunkel wohl die Hautfarbe ihres Kindes sein würde.

Das wohl meistgesehene Interview der Fernsehgeschichte aber flimmert am 10. Februar 1993 über den Bildschirm: Michael Jackson empfängt Oprah auf seiner Neverland Ranch. 90 Millionen Menschen weltweit werden Zeuge, wie Oprah den King of Pop fragt, warum er sich beim Tanzen immer in den Schritt greift, warum seine Haut so weiß ist und ob er noch Jungfrau sei.

„Es war das aufregendste Interview, das ich je gemacht habe“, sagt Oprah. 2019 lässt sie es sich nicht nehmen, ein Gespräch mit den beiden Männern zu führen, die öffentlich machten, als Kinder von Jackson missbraucht worden zu sein. „After Neverland“ nennt sie die Show. Seitdem werfen ihr Jackson-Fans vor, ihren Freund Michael verraten zu haben. Dabei hat sich Oprah von jeher stark gemacht für die Gedemütigten.

Sie gehört schließlich selbst dazu. Von ihren eigenen traumatischen Erfahrungen spricht Oprah zum ersten Mal 1985: In der von ihr moderierten Morning-Show „A.M. Chicago“ thematisiert sie sexuellen Missbrauch in der Familie – und enthüllt einem schockstarren Publikum und den ahnungslosen Produzenten vor laufender Kamera, dass sie mit neun Jahren von ihrem Cousin vergewaltigt wurde, der mit ihr in einem Bett schlief. Seitdem habe sie immer wieder sexuelle Übergriffe erdulden müssen.

Oprah wird gefeiert, für ihre Ehrlichkeit und ihren Mut

Mit diesem Bekenntnis setzt sie den Ton für die folgenden Jahre, zeigt sich selbst als Opfer unter Opfern, verwundbar und verletzlich. Das Medienecho ist enorm, die Einschaltquoten steigen, Im oberflächlichen Showbusiness wird ihre Glaubwürdigkeit zu ihrer größten Stärke. „A.M. Chicago“ wird in „The Oprah Winfrey Show“ umbenannt. Und Oprah wird gefeiert, für ihre Ehrlichkeit und ihren Mut. Ihre Familie aber weist die Vorwürfe zurück. Manche Magazine unterstellen ihr, sie habe absichtlich einen Hype um ihre Person auslösen wollen, um den gerade fertig gestellten Spielberg-Film „Die Farbe Lila“ zu bewerben, in dem sie mitspielt.

Foto (C): Chicago Tribune/Tribune News Service via Getty Images

Als Moderatorin einer Morning-Show werden Herzlichkeit und Empathie zu Oprahs Markenzeichen. Chicago, 1984

Doch Oprah lässt sich nicht beirren. Sie thematisiert Pornografie, lesbische Liebe, Vergewaltigung, Priesterkinder, Pädophilie. Sammelt Geld für missbrauchte Kinder, hält Vorträge. Und macht ihre eigene Kindheit öffentlich: dass sie als Tochter zweier Teenager in Mississippi geboren wurde, bei ihrer strengen Großmutter aufwuchs und geschlagen wurde – getröstet nur von ihren zwei einzigen Gefährten: den Küchenschaben Melinda und Sandy.

Ein Trauma, über das sie lange schweigen wird

Als sie sechs Jahre als ist, zieht sie mit ihrer Mutter nach Milwaukee. Die ist mit einem Job als Hausangestellte und zwei weiteren Kindern mehr als überfordert. Zusammen mit ihren Halbgeschwistern verbringt Oprah ganze Tage vor der Glotze, treibt sich auf der Straße herum. In diese Zeit fällt ein weiterer Missbrauch: durch ihren Lieblingsonkel. Oprah reißt aus, woraufhin ihre hilflose und überforderte Mutter sie zu ihrem angeblichen Vater Vernon Winfrey nach Nashville schickt. Obwohl er weiß, dass Oprah nicht seine Tochter ist, nimmt er sie auf, diszipliniert sie mit Lernplänen und Fernsehverboten.

Mit 14 wird Oprah schwanger – ein Trauma, über das sie lange schweigen wird. Ihre Stiefschwester Patricia, die wegen ihrer Drogenprobleme Geld braucht, verrät 1990 der Weltpresse das Familiengeheimnis: Kurz vor ihrem 15. Geburtstag bringt Oprah ihren Sohn als Frühgeburt zur Welt. Einen Monat später stirbt er im Krankenhaus. „Ich ging zurück zur Schule. Und keine Seele wusste davon. Niemand“, erzählt Oprah später. „Sonst hätte ich nicht dieses Leben geführt, das ich geführt habe.“

Oprah hat für alle ein Ohr und eine Umarmung

Und dieses Leben nimmt ungeahnten Aufschwung: Nach der Highschool arbeitet Oprah als Nachrichtensprecherin bei einem lokalen Radiosender in Nashville. Sie beginnt Kommunikationswissenschaften zu studieren, bricht das Studium ab und wechselt 1976 zu einem TV-Sender nach Baltimore. Als Nachrichtensprecherin ist sie jedoch unhaltbar, weil ihr viele Meldungen zu nahe gehen und sie zu emotional reagiert. 1978 bekommt sie eine zweite Chance im Frühstücksfernsehen – und ist endlich in ihrem Element. Ihre Neugier ist grenzenlos, ihre Hemmschwelle gering. Sie interviewt Männer, die sich zu Elvis-Doubles umoperieren lassen, spricht mit einer Prostituierten, die ihren Kunden umgebracht hat; trainiert mit einem Fitness-Guru oder dekoriert Kuchen.

Als ihre Produzentin zu einem Sender in Chicago wechselt, kommt Oprah mit und erhält ihren ersten Job bei „A.M. Chicago.“ Dort ändert sie das bisherige Format und interviewt nicht nur Soap-Opera-Stars, sondern echte Menschen: Männer, die für Sex bezahlen, Frauen, die Männer suchen, Kinder, die töten – Oprah hat für alle ein Ohr und eine Umarmung. Zugleich lässt sie ihr Publikum immer teilhaben an ihren eigenen desaströsen Liebschaften, Selbstmordgedanken und Diätproblemen.

Der endgültige Durchbruch kommt 1986

Der endgültige Durchbruch kommt 1986: Sie findet den Mann fürs Leben, wird als beste Nebendarstellerin für den Oscar nominiert und fast 200 Sender übertragen ihre Show im ganzen Land. Mit einem Verdienst von 30 Millionen Dollar im Jahr schlägt sich der Erfolg auch finanziell nieder. Doch Oprah gibt sich damit nicht zufrieden und baut ihren Einfluss weiter aus: gründet ihre eigene Produktionsfirma, vermarktet ihre Glaubwürdigkeit mit „Oprah’s Book Club“, bei dem sie Bücher zu Bestsellern macht – und ihr Übergewicht in einer Kooperation mit Weight Watchers. Und als sie die „Oprah Winfrey Show“ nach 25 Jahren unter großer Presseanteilnahme absetzt, gründet sie ihren eigenen Pay-TV-Sender.

„Ich möchte, dass alle Mädchen, die heute hier zuschauen, wissen, dass eine neue Zeit anbricht.“

Oprah Winfrey

An ihrem Wohlstand lässt Oprah aber auch andere teilhaben. Sie unterstützt Hilfsprogramme für Frauen und Mädchen, fördert eine Schule in Südafrika und spendet allein 10 Millionen Dollar für Corona-Hilfsmaßnahmen. Und mit einer kämpferischen Rede setzt sie sich 2018 an die Spitze der „Me too“-Bewegung: „Ich möchte, dass alle Mädchen, die heute hier zuschauen, wissen, dass eine neue Zeit anbricht.“ Eine Zeit, in der „nie wieder jemand sagen muss: ‚Me too‘!“ Vor Kurzem mehrten sich die Stimmen, die Oprah schon als Kandidatin für das Präsidentenamt sahen – ein Ansinnen, das die Moderatorin weit von sich weist.

Wo sie politisch steht, zeigt sie, als sie drei Wochen nach dem Gespräch mit Harry und Meghan die junge Lyrikerin Amanda Gorman zum Interview bittet, die seit ihrem Auftritt bei Joe Bidens Amtsvereidigung für ein neues Amerika steht. Gefragt nach den Frauen, die sie inspiriert haben, antwortet Gorman: Neben der Menschenrechtsaktivistin Maya Angelou und der Schriftstellerin Toni Morrison sei es vor allem eine Frau, die sie immer als Vorbild gesehen habe – Oprah Winfrey.

(Text: Tanja Beuthien)

Der Artikel ist in der Ausgabe 08/2021 von P.M. History erschienen.

Die P.M.-Redaktion besteht aus einer Hauptredaktion und einer Vielzahl freier Autorinnen und Autoren. Die Magazine „P.M.“, „P.M. Schneller schlau“ und „P.M. History“ erscheinen monatlich und beschäftigen sich mit Themen rund um Physik, Chemie, Biologie, Natur, Psychologie, Geschichte und vielen mehr.
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