Text: Tim Kalvelage
Zwischen Hawaii und Mexiko, mehrere Kilometer tief auf dem Meeresgrund, fuhren 1978 zwei Erntemaschinen. Über ein Rohr förderten sie 800 Tonnen metallhaltige Gesteinsklumpen auf ein Schiff an der Wasseroberfläche.
Das Objekt der Begierde: Manganknollen, metallreiche Gesteinsbrocken, die kleinsten so groß wie eine kleine Kartoffel, die größten so groß wie ein Blumenkohl. Wie ein Baum haben sie Wachstumsringe (siehe Aufmacher-Bild oben). In den ozeanischen Tiefseebecken liegen sie in ausgedehnten Feldern. Die Klumpen entstehen über Jahrmillionen, wenn sich im Meerwasser gelöste Teilchen an einem Objekt ablagern, etwa an einem Haifischzahn, einer Fischgräte oder einem Gesteinssplitter.
Anfang der 1970er waren die Manganknollen ins Visier der Industrieländer gerückt, denn wichtige Landlagerstätten für Technologiemetalle drohten zur Neige zu gehen. Auf dem Meeresgrund hingegen schlummern gewaltige Mengen – zum Teil ein Vielfaches der Landvorkommen.
Ein internationales Joint Venture mit deutscher Beteiligung initiierte die Testfahrt zwischen Hawaii und Mexiko 1978. Sie war zugleich der vorläufige Höhepunkt des Goldrauschs in der Tiefsee. Der Profit schien zu gering, der Kapitalbedarf enorm, die Technik unausgereift. Zudem erwiesen sich die Rohstofflager an Land doch als ausreichend. Die Pläne für den kommerziellen Tiefseebergbau verschwanden in den Schubladen.
Bereit zur Ernte: In metallhaltigen Meeresgebieten bilden sich regelrechte Manganknollenfelder. Pro Quadratmeter liegen bis zu 75 Kilogramm. Sie enthalten Kobalt, Nickel und andere Metalle, die für Laptops, Handys oder Akkus für E-Autos benötigt werden.
Wir brauchen die Metalle für Akkus, Handys, Laptops, E-Autos
Bis jetzt. Digitalisierung, Verkehrs- und Energiewende lassen den Bedarf an Kupfer, Nickel und vielen anderen Technologiemetallen massiv steigen. Viele kann man in Manganknollen finden, vor allem steckt in ihnen Kobalt. Das wird benötigt für Akkus, Laptops und Smartphones, in E-Bikes und E-Autos, Solar- und Windkraftanlagen sowie für die zukünftig bedeutsamen Speicher von Ökostrom. Allein in einem E-Auto stecken fünf bis zehn Kilogramm Kobalt – und in den nächsten Jahrzehnten sollen weltweit Hunderte Millionen von ihnen vom Band rollen.
Deshalb rücken die Rohstoffe im Ozean erneut in den Fokus. Viele Länder haben ihre Claims bereits abgesteckt. Das Dorado der Meere ist die Clarion-Clipperton-Zone (CCZ), eine Region von der Fläche der EU im tropischen Nordpazifik. Allein dort lagern rund 44 Millionen Tonnen Kobalt – rund das Dreifache der Landreserven. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) erkundet dort seit 2006 ein 75 000 Quadratmeter großes Gebiet.
Die weltweit bedeutendsten Explorationsgebiete für die drei Rohstofftypen Manganknollen (grün), Mangankrusten (rot) und Massivsulfide (gelb) mitsamt den Staaten, die dort Erkundungslizenzen halten.
Bisher hat die Internationale Meeresbodenbehörde keine Schürfrechte erteilt. Es fehlt ein rechtlicher Rahmen, der auch Umweltstandards festlegt. Aktuell verhandeln die Mitgliedsländer der UN-Behörde einen »Mining Code«, der 2021 vorliegen soll. Dann könnte der Startschuss für den kommerziellen Tiefseebergbau fallen.
Der Hunger nach Rohstoffen ist groß
Zwar werden die Rohstoffe an Land nicht so schnell knapp. Doch die Unternehmen müssten neue Minen erschließen, in bislang unberührten Gebieten. Etwa in der Demokratischen Republik Kongo, die über die größten Kobaltreserven verfügt und mehr als 60 Prozent des globalen Bedarfs deckt. Der Preis dafür: abgeholzte Regenwälder, Kinderarbeit und Umweltverschmutzung.
»Bergbau erzeugt riesige Mengen wertlosen, teils giftigen Abraum«, sagt Laurenz Thomsen, Geowissenschaftler an der Jacobs University in Bremen. »Die Unternehmen werben damit, dass sich Manganknollen hingegen komplett verwerten lassen.« Tatsächlich hat die RWTH Aachen zusammen mit der BGR an einem »Zero-Waste-Verfahren« geforscht, um den hohen Mangan- und Eisenanteil, aber auch das enthaltene Kobalt in den Knollen zu nutzen und säurehaltige Abfälle zu minimieren. Trotzdem bleibt die Extraktion der Metalle aus dem Gestein kompliziert und äußert kostspielig.
Bergbau erzeugt riesige Mengen wertlosen, teils giftigen Abraum.
Laurenz Thomsen, Geowissenschaftler an der Jacobs University in Bremen
Zudem hätte der Abbau für viele Tiefseebewohner fatale Folgen, vor allen für jene, die auf den Manganknollen siedeln. Wissenschaftler und Umweltschützer befürchten irreparable Schäden in einem Ökosystem, »das zu den ältesten der Erde gehört«, sagt Matthias Haeckel vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. »Die Artenvielfalt in den Abbaugebieten ist vergleichbar mit der tropischer Regenwälder.«
In den Knollenfeldern leben zahlreiche Tierarten
Zwar erscheint das Ökosystem auf Unterwasserbildern auf den ersten Blick eher arm an Leben. Doch auf den Knollen finden sich Weichtiere, Schwämme, Weichkorallen und Seelilien. In den Knollenfeldern leben Seegurken, Schlangensterne, Seeigel, Seesterne und Tiefseekraken. Einen Großteil der Diversität machen zudem die im Sediment lebenden Organismen aus, darunter viele Fadenwürmer. Weniger als ein Tausendstel des Tiefseebodens ist erforscht. Fraglich ist, wie widerstandsfähig die Bewohner sind und wie schnell sich ozeanische Schürfgebiete erholen würden. Bislang unentdeckte Arten könnten für immer verschwinden.
Die Maschinen für den Tiefseebergbau werden bereits entworfen und erprobt, unter anderem finanziert von der Europäischen Kommission. Kettenfahrzeuge, zig Tonnen schwer und so groß wie ein Bus, sollen die Knollen am Meeresgrund einsaugen, die Pumpen dann hoch zum Schiff befördern. Anfang 2021 will die belgische Firma Global Sea Mineral Resources (GSR) ihren Prototyp in der CCZ testen, rund vier Kilometer unter der Meeresoberfläche. Es wäre der erste Einsatz in so großer Tiefe seit Jahrzehnten. Dabei will sie sowohl im belgischen als auch im deutschen Lizenzgebiet Manganknollen sammeln.
Die Erntemaschinen werden die oberste Sedimentschicht entfernen. Diese Flächen wären für Generationen verloren. Tiefseeorganismen wachsen langsam, erreichen spät ihre Geschlechtsreife, pflanzen sich wenig fort. In den 1980ern haben Forscher im Pazifik mit schwerem Gerät den Abbau von Manganknollen simuliert. »In den Pflugspuren hat sich das Ökosystem bis heute nicht erholt«, sagt Haeckel. Der Meeresboden sieht aus wie frisch umgegraben. Größere Tiere sucht man vergebens.
So funktioniert der Abbau von Manganknollen
Wie werden sich die Ökosysteme verändern durch den Abbau?
Strittig ist, wie sich die umliegenden Flächen verändern, wenn eine Menge Sediment aufgewirbelt wird. Laurenz Thomsen hat dies im Labor untersucht: »Viele Partikel sinken recht schnell wieder zum Meeresboden. Ein Teil wird jedoch durch die Strömung kilometerweit verteilt.« Forscher und Umweltschützer befürchten, dass das Sediment Anemonen, Schwämme und Weichkorallen weit über das eigentliche Abbaugebiet unter sich begräbt und die Organe der Filtrierer verstopft.
Außerdem fallen bei der Reinigung der Knollen auf den Förderschiffen große Mengen Schlamm an, die ins Meer zurückgeleitet werden – ausgerechnet in ein Seegebiet, das zu den klarsten im Ozean gehört. Die Tiefseeorganismen in der CCZ sind daran angepasst, dass nur sehr wenige Partikel von der Oberfläche herabschneien, sagt Thomsen: »In den Knollengebieten bilden sich natürlicherweise nur wenige Millimeter Sediment in eintausend Jahren.«
Wenn die Firma GSR 2021 ihre Maschine testet, wollen Forscher des Projekts »Mining Impact« Umweltdaten erheben. »Wir wollen untersuchen, wie viel Sediment bei der Knollenernte aufgewirbelt wird, in welcher Entfernung es noch auf die Bodenbewohner herabregnet und ob sie sich davon wieder befreien können«, erklärt Matthias Haeckel, der das Projekt koordiniert. Die Erkenntnisse aus dem Testabbau sollen helfen, der Internationalen Meeresbodenbehörde Vorschläge für den Mining Code zu unterbreiten – etwa, wie groß zusammenhängende Abbaugebiete maximal sein dürfen und welchen Abstand sie voneinander haben müssen.
Sollte der Tiefseebergbau Realität werden, müsse man die Schürfgebiete permanent überwachen, sagt Laurenz Thomsen, »um die Erntemaschinen im Notfall stoppen zu können«. Seine Vision: Roboter bestückt mit Sensoren für wichtige Umweltparameter sollen in den Knollenfeldern patrouillieren. »Wir haben Unterwasserfahrzeuge entwickelt, die über ein Jahr lang autonom Daten sammeln und Organismen mit einem 3-D-Laser abtasten können.«
Thomsen rechnet damit, dass die ersten kommerziellen Förderschiffe Mitte der 2020er-Jahre in der CCZ kreuzen. Er hofft, dass bis dahin die Technik für eine Roboterpatrouille am Grund des Pazifiks ausgereift sein wird.
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