Das Jetzt als erlebte Gegenwart ist selbstverständlich und seltsam zugleich. Denn bewusst wird es nur, wenn man anfängt, darüber nachzudenken – und dann ist es schon längst wieder vorbei. Unbestritten ist indes, dass auch das Jetzt seine Zeit braucht, und man weiß sogar, wie viel: knapp drei Sekunden. Das mag kurz erscheinen, ist aber um ein Vielfaches länger als die plus/minus 40 Millisekunden Zeit, die wir zur Reizwahrnehmung benötigen.
Sobald es aber darum geht, eine Erscheinung oder ein Ereignis geistig zu erfassen und als »Mini-Erlebnis« zu verbuchen, muss schon etwas mehr zusammenkommen: Hierzu sammelt das Gehirn zwei bis drei Sekunden lang die verfügbaren Sinneseindrücke und baut sie zusammen. Das Zeitintervall lässt sich leicht im Selbstversuch überprüfen, zum Beispiel mit einem laut tickenden Wecker: Nach kürzester Zeit kommt es einem so vor, als würden drei »Ticks« zusammengehören. Ohne dass es sich bisher neurophysiologisch erklären ließe, teilt das Gehirn den Strom der Eindrücke offenbar in kleine Abschnitte auf.
In dem Moment, in dem Jetzt ausgesprochen wird, ist es schon wieder Vergangenheit
Diese »Zeitpäckchen« prägen unseren Alltag und erleichtern die Kommunikation mit anderen: Wer seinem Gegenüber länger als knapp drei Sekunden die Hand schüttelt, erzeugt bei ihm damit bereits eine leichte Befremdung. Viele Songschreiber und Dichter folgen intuitiv der Drei-Sekunden-Regel: Jede Zeile bildet eine solche Einheit. Das fühlt sich organischer an und bleibt deshalb besser im Gedächtnis haften als Rhythmen, die die natürliche Schallgrenze des »Jetzt« durchbrechen. Trotzdem bleibt das Jetzt eine höchst subjektive Sache, denn es lebt von unserer Aufmerksamkeit. Fehlt diese, weil wir mit den Gedanken überall sind, nur nicht im »Hier und Jetzt«, so besitzt es überhaupt keine Dauer und ist in der Rückschau spurlos verschwunden.
(Text: Minerva Fois)
Dieser Artikel ist in P.M. Fragen & Antworten erschienen und mehr über das Mysterium der Zeit erfahren Sie in der Titelgeschichte in P.M. Ausgabe 05/2019.