(Text: Holger Diedrich)
Barbados, Antigua, Bahamas: Hübsche Inseln mit angenehmem Klima zu sicheren Häfen für das Geld von Steuerflüchtlingen zu machen, ist kein Phänomen der Neuzeit. Es waren die Römer, die als Erste auf diese Idee kamen. Im 2. Jahrhundert vor Christus erklärten sie die Insel Delos in der Ägäis zum Steuerparadies.
In Steuer-Oasen werden keine Einkommens- und Vermögenssteuern erhoben
Der Grund war der gleiche wie heute: Es galt, fremdes Kapital mit Steuervorteilen anzulocken und dadurch anderen Mächten wirtschaftlich zu schaden. Im Fall von Delos war es das damals von Rom unabhängige Rhodos. Hier fanden die Frachtschiffe lange Zeit einen sicheren Hafen. Rhodos’ Schiffe jagten Piraten. Dafür zahlten die Schiffe zwei Prozent Steuern auf ihre Fracht. Rhodos wurde von Rom in Ruhe gelassen, solange seine Legionen Kriege gegen das makedonische Griechenland führten.
Nach dem Sieg Roms 168 v. Chr. änderte sich das. Rom investierte auf Delos in neue Hafenanlagen. Und vor allem: Es erließ Delos die Steuerpflicht. Rhodos’ Einnahmen brachen binnen eines Jahres um 85 Prozent ein. Delos hingegen prosperierte. Doch der Preis war hoch. Delos tat nichts zum Schutz des Handels, das östliche Mittelmeer wurde zur Seeräuberhochburg. Die Römer scherte das zunächst wenig. Denn die Piraten verkauften ihnen gerne Gefangene – und zwar auf Delos, dem bald größten Sklavenmarkt des römischen Imperiums.
Der Artikel ist in der Ausgabe 11/2020 von P.M. Fragen & Antworten erschienen.