Frau Höving, ekeln sich die Leute, wenn Sie in privater Runde von Ihrem Forschungsgebiet erzählen?
Nein, Ekel habe ich interessanterweise noch nie erlebt. Aber Überraschung. Und die Frage, ob das denn ergiebig sei – das ist schon in der Wortwahl lustig. Meist erzähle ich dann von den vielen Schriftstellern und Autorinnen, die Exkremente und Ausscheidungsvorgänge thematisieren. Oder ich erkläre: Wenn wir Bücher als dicken Schinken, schwere oder leichte Kost und Leserinnen und Leser als Bücherwürmer bezeichnen, dann nutzen wir ja Motive des Einverleibens. Darin ist das Ausscheiden als logische Konsequenz angelegt.
Nun: Her mit den berühmten Künstlern, Künstlerinnen und ihren eindeutigen Stellen!
Günter Grass ist schon ein bemerkenswerter Scheiße-Autor. Kennen Sie sein Gedicht »Kot gereimt«, das er in seinen großen Butt-Roman eingebaut hat? Müssen Sie mal lesen: »Dampft, wird beschaut. / Riecht nicht fremd, will gesehen werden, / namentlich sein. / Exkremente. Der Stoffwechsel oder Stuhlgang. / Die Kacke: was sich ringförmig legt.« Ganz erstaunlich. Grass war auch ein sehr guter Zeichner. Er hat einige seiner Werke und ihren Aufbau visualisiert – gerne in Form eines Darms. Und er hat recht: Literatur ist, metaphorisch gesprochen, auch das Verdauen von Erlebtem, Gedachtem, Gelesenem – und schließlich die Verstofflichung dieser Dinge. Wir können also Denkfiguren von Stoffwechsel und Verdauung nutzen, um über Infrastrukturen eines literarischen Textkörpers zu sprechen. Oder über Intertextualität, also das Verhältnis von Texten zueinander. Der deutsche Autor Wilhelm Raabe hat 1888 den Roman »Das Odfeld« geschrieben, der damit endet, dass ein Rabe mit seinem Schnabel ein Buch zerreißt und mit den Papierfetzen im Magen in die Welt rausfliegt – und wir ahnen dann ja schon, was mit den Schnipseln passiert.
Fällt Ihnen auch ein gutes Gegenwartsbeispiel ein?
Charlotte Roches Roman »Feuchtgebiete«, in dem es fast ausschließlich um Körperflüssigkeiten, Ausscheidungsvorgänge, Analfissuren geht. Das Buch hat viel Aufsehen erregt, ich finde es literarisch hochinteressant. Auch weil es eben als ungewöhnlich gilt, dass Frauen über Scheiße schreiben. In Büchern von Männern tauchen Frauen zwar oft in der Nähe von Körperausscheidungen auf: Abortfrauen zum Beispiel spielen bei Friedrich Dürrenmatt oder Werner Schwab eine Rolle. Gleichzeitig wird ihnen aber auch eine merkwürdige Reinlichkeit angedichtet.
Stichwort Klo: Der Literatur-Nobelpreisträger Peter Handke hat einen »Versuch über den Stillen Ort« geschrieben, er beschreibt darin auch einen Raum der Kontemplation. Kommt dieses Motiv oft vor?
Ja, das gibt es häufiger, die Toilette als einen losgelösten Ort, an dem man Gedanken spinnt, die außerhalb vielleicht gar nicht so gedacht würden. Interessanter finde ich aber, dass auch Handke sich den Parallelen zwischen Literaturproduktion und Verdauungsvorgängen widmet. In seiner Novelle beschreibt er auch, dass das Toilettenpapier aus Zeitungsschnipseln besteht. Da sind also bereits geschriebene Texte auseinandergenommen und einer ganz anderen Verwendung zugeführt worden. Diese Parallelen zwischen Klo und Text interessieren mich besonders. Übrigens wurde das Wasserklosett 1596 von einem Dichter erfunden, nämlich Sir John Harington. Es wurde dann aber erst 1775 von Alexander Cumming patentiert.
Ein anderes Buch ist vielen Kindern und Eltern bestens bekannt: Wolf Erlbruchs Kinderbuch »Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat«.
Das ist ein tolles Buch, ich besitze sogar ein passendes Gesellschaftsspiel: ein Memory-Spiel, in dem verschiedene Exkremente mit den passenden Tieren zusammengebracht werden sollen. Und das ist ja auch der Effekt, den das Buch bei Kindern hat: Oh, schaut, auch Tiere kacken, genau wie ich. Frei nach Freud ist ja der Klogang das erste Ereignis, bei dem Kinder etwas ganz Eigenes produzieren. Das Buch finde ich also angebracht und wertvoll. Und es hat einen pädagogischen Hintergrund: Denn der Haufen im Buch landet ja nicht im Klo, sondern auf dem Kopf des kleinen Maulwurfs. Die Kinder lernen so gleich: Da gehört der nicht hin.
(Interview: Stephan Draf)