(Text: Tim Kavelage)
Als Forschende des Alfred-Wegener-Instituts Anfang 2021 einen Kameraschlitten über den Grund des antarktischen Weddellmeers zogen, entdeckten sie auf den Bildern Erstaunliches: Im Scheinwerferlicht tauchten am Meeresboden etliche flache Mulden voller Fischeier auf. Über die Gelege wachten Eisfische: gut einen halben Meter lange Tiere mit breitem Maul und großen Brustflossen. In rund 500 Meter Tiefe war der Meeresgrund geradezu übersät mit den Gelegen.
Geschätzte 60 Millionen Fischnester, berichten die Forschenden, verteilten sich zum Zeitpunkt ihrer Expedition auf einer Fläche von 240 Quadratkilometern – das entspricht etwa der Größe Maltas. Antarktische Eisfische mit einer Masse von gut 60 000 Tonnen wachten dort über mehr als 100 Milliarden Eier. Es ist die Entdeckung der weltweit größten Fisch-Brutkolonie, in einer der letzten fast unberührten Regionen im Ozean. Die Kinderstube der Eisfische liegt am Rande des Filchner-Grabens, einer Tiefseerinne, die quer über das Kontinentalschelf im südlichen Weddellmeer verläuft.
Der ORt der Fisch-Brutkolonie hängt wohl mit der warmen tiefenströmung zusammen
Eisfische ernähren sich von Krill und kleinen Fischen und bevölkern weite Teile der antarktischen Küstengewässer. Ihre Massenzusammenkunft zur Eiablage am Filchner-Graben hängt womöglich mit einer relativ warmen Tiefenströmung zusammen, die sich entlang des Grabens auf das Schelf schiebt. Die Forschenden vermuten, dass sich die Fische an der Strömung orientieren, um ihren Brutplatz und einen Laichpartner zu finden. Zudem gibt es für den Eisfisch-Nachwuchs, der nach dem Schlupf zur Meeresoberfläche wandert, in der nährstoffreichen Region reichlich Zooplankton zu fressen.
Viele Elterntiere hingegen hungern sich während der Brutpflege offenbar zu Tode: Zwischen den Gelegen beobachteten die Forschenden viele Fischkadaver – eine willkommene Mahlzeit für Bodenbewohner wie Seesterne, Tiefseekraken und Mikroorganismen. Aber auch lebend dürften Eisfische eine wichtige Futterquelle sein, etwa für Weddellrobben. Bei der Expedition wurden einige der Meeressäuger mit Sendern ausgestattet. Über den Fischnestern tauchten sie besonders häufig ab.
Der Artikel ist in der Ausgabe 04/2022 von P.M. Schneller Schlau erschienen.