(Text: Astrid Viciano)
Normalerweise gelten Viren als unliebsame Zeitgenossen, die uns lästige bis gefährliche Erkrankungen wie eine Erkältung oder eine Grippe bescheren. Vor einiger Zeit aber berichteten Forscher im Fachblatt »Nature Medicine«, dass solche Winzlinge einem 15-jährigen Mädchen das Leben gerettet haben.
Die Mediziner hatten Viren eingesetzt, die ausschließlich Bakterien befallen. Solche Bakteriophagen (»Bakterienfresser«) kommen an vielen Orten der Welt vor, zum Beispiel in Gewässern – überall da, wo es auch Bakterien gibt. Im Falle der jungen Patientin hatten spezielle Bakteriophagen gefährliche Erreger unschädlich gemacht, die sich rasend schnell ausgebreitet hatten. Das Mädchen litt an Mukoviszidose, einer angeborenen schweren Stoffwechselerkrankung, und hatte als Folge davon eine neue Lunge transplantiert bekommen. Direkt nach dem Eingriff entzündeten sich die Wundnähte, Knochen und Organe, die Überlebenschancen standen bei weniger als einem Prozent, berichten die Ärzte.
Mit maßgeschneiderten Viren gegen Infektionen
Auf Drängen der Eltern entschlossen sich die Mediziner, Forscher der University of Pittsburgh zu kontaktieren, die an neuen Therapien mit Bakteriophagen arbeiten. Dort wurden bereits mehr als 15 000 Stämme von Phagen gesammelt. Drei davon, »Muddy«, »ZoeJ« und »BPs«, kamen für die Behandlung der Patientin aus Großbritannien infrage. Allerdings konnte zunächst nur Muddy die Erreger im Körper des Mädchens eliminieren. Die anderen beiden nisteten sich zwar in den Bakterien ein, vermehrten sich aber nicht und konnten so den Kampf nicht richtig aufnehmen. Daraufhin beschlossen die Wissenschaftler, ein Gen in diesen Viren auszuschalten, damit auch ZoeJ und BPs sich ungehemmt vermehren konnten. »Eine herausragende Arbeit«, sagt Christine Rohde, Kuratorin der Phagensammlung am Leibniz- Institut DSMZ in Braunschweig. Die Mikrobiologin und ihre Kollegen arbeiten ebenfalls daran, Phagen zu sortieren und deren Potenzial als Waffe gegen bestimmte Bakterien zu bestimmen. Allerdings verändern weder Rohde noch andere Wissenschaftler in Deutschland das Erbgut der Phagen. »Doch geht die Zukunft dort sicher hin, gerade wenn es um individuell zugeschnittene Therapien geht«, sagt sie.
Bakteriophagen nisten sich in Bakterien ein und zerstören sie
Was die Phagen so besonders macht? Sie injizieren ihr eigenes Erbgut in das Bakterium und bringen es so dazu, seinen eigenen Stoffwechsel einzustellen und stattdessen Bausteine der Viren zu produzieren. Daraus entstehen im Erreger so viele neue Phagen, dass das Bakterium platzt und die Phagen freigesetzt werden. Sind auf diese Weise alle Bakterien vernichtet, sterben auch die Phagen ab. Und diese Miniwaffen machen eben immer nur ein spezielles Bakterium krank. »Das macht sie für unsere Forschung ja so charmant«, findet Biologin Rohde. Heute gelten die Phagen vor allem als Hoffnung für Patienten, die mit antibiotikaresistenten Bakterien infiziert sind.
Neu ist die Therapie allerdings nicht. Seit mehr als 100 Jahren kennt man die winzigen Bakterienfresser, erstmals wurden sie vom französisch-kanadischen Biologen Félix d’Hérelle zur Zeit des Ersten Weltkriegs beschrieben. Sein georgischer Kollege Georgi Eliava gründete später das erste Institut für Phagenforschung in Tiflis. Es besteht bis heute, längst bieten die Forscher eine Vielzahl von Phagencocktails als kommerzielle Produkte an.
Klinische Studien stehen noch aus
In der EU sind die Produkte allerdings nicht zugelassen. Um auch in Deutschland derartige Behandlungen anbieten zu können, bereitet Rohde gemeinsam mit Kollegen die erste Studie vor. In absehbarer Zeit könnten die ersten Probanden den Phagencocktail erhalten. Infrage kommen Patienten mit Mukoviszidose oder Erweiterungen der Bronchien, bei diesen Menschen können sich bestimmte Bakterien (Pseudomonas aeruginosa) besonders gut entwickeln und halten. Diese sollen durch die Phagen bekämpft werden.
Der Artikel ist in der Ausgabe 10/2020 von P.M. Fragen & Antworten erschienen.