Die Kunst der Täuschung

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Die Grenzen zwischen Realität und Abbild zu überschreiten ist eine Frage der Perspektive und die vielleicht größte Herausforderung, der sich bildende Künstler seit Jahrhunderten stellen. Mit verblüffenden Resultaten

Autor: Thomas Röbke

Zeuxis gilt als bedeutendster Maler im antiken Griechenland, sein Kollege Parrhasios stand ihm kaum nach. Der römische Geschichtsschreiber Plinius d. Ä. überlieferte eine Anekdote, die sich 397 v. Chr. zugetragen haben soll. Danach lieferten sich die beiden einen Wettstreit, wer am naturalistischsten malen könne. Zeuxis malte Trauben, die so echt aussahen, dass Vögel danach pickten. Dann verlangte er, den Vorhang zu entfernen, der das von Parrhasios geschaffene Bild verdeckte. Doch der war – aufgemalt. Mit großem Respekt gab sich Zeuxis geschlagen: Ihm war es zwar gelungen, Vögel zu täuschen, Parrhasios dagegen führte einen Menschen in die Irre.

Optische Täuschungen: Gegenstände und Lebewesen dreidimensional erscheinen lassen

Aus dem Rahmen der zweidimensionalen Abbildung ausbrechen: Das sind ein Wunsch und eine Herausforderung, die wahrscheinlich genauso alt sind wie die Malerei. Der Schlüssel dazu, reale oder der Fantasie entsprungene Gegenstände oder Lebewesen dreidimensional erscheinen zu lassen, liegt darin, sie perspektivisch besonders raffiniert darzustellen. „Trompe-l’œil“ lautet der im Barock entstandene Fachbegriff für diese Form der illusionistischen Malerei, von den französischen Begriffen „tromper“ für „täuschen“ und „l’œil“ für „das Auge“. Wobei „täuschen“ in diesem Zusammenhang eigentlich zu hart klingt, zu sehr nach Betrug. Einen entspannteren Blick hatte der Philosoph Theodor W. Adorno: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“

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„Flucht vor der Kritik“ (1874) von Pere Borrell del Caso zeigt einen Jungen, der staunend durch einen Bilderrahmen in die Realität einzutreten scheint.

Ein meisterhaftes Spiel mit Perspektive und gelernten Erwartungen

Die alten Römer verstanden sich darauf, die Wände ihrer Villen so zu bemalen, dass die Räume größer und prächtiger erschienen. Mit Mosaikmustern täuschte mancher Hausherr vor, dass Essensreste und dreckiges Geschirr den Boden bedeckten, um sich dann an den entsetzten Gesichtern seiner Gäste zu weiden. Doch dann schob der Siegeszug des Christentums weiteren künstlerischen Illusionen zunächst einen Riegel vor. „Die Welt getreu abzubilden oder gar Augentäuschungen zu provozieren war nicht mehr erwünscht“, schreibt der Kunsthistoriker Florian Heine. „Für das Christentum galt die diesseitige Welt, obwohl Gottes Schöpfung, als sündig. Die wahrnehmbare Welt trat hinter die ideelle zurück.“

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Für den Genter Altar schufen Jan und Hubert van Eyck um 1435 das „Diptychon der Verkündigung“. Die Statuen sind tatsächlich nur in Schwarz-, Weiß- und Grautönen aufgemalt, die dreidimensionale Wirkung beruht allein auf den aufgetragenen Schatten und Spiegelungen. Grisaillefiguren ist der Fachbegriff dafür, von franz. „gris“ für „grau“

Erst im 14. Jahrhundert hieß es dann „Zurück zur Natur“: Die Künstler entdeckten alte Techniken der naturalistischen Darstellung wieder und entwickelten neue. Die Entdeckung der Zentralperspektive in der italienischen Renaissance gab den Künstlern, wie Heine ausführt, „neues Rüstzeug, das es ihnen ermöglichte, Räume aufzutun, wo keine sind, Gegenstände entstehen zu lassen, wo nur Farbe ist, und Bewegung zu erzeugen, wo eigentlich Stillstand zu sehen ist“. Als Andrea Mantegna 1461 bis 1474 die „Camera degli Sposi“ im Palazzo Ducale in Mantua ausmalt, ein mit „Kammer der Eheleute“ nur unzureichend bezeichneter Repräsentationsraum, setzt er einen Meilenstein. Das Aufmacherbild dieses Artikels zeigt das scheinbare Loch in der Decke, das an das Pantheon in Rom erinnert, aber nur aufgemalt ist. Es ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt aus dem meisterhaften Spiel mit Perspektive und gelernten Erwartungen. Denn es ist umgeben von aufgemalten Gewölberippen, die die gesamte Decke überziehen und auf Scheinarkaden gründen.

Die Techniken sind so früh so perfekt, dass wir auch heute auf die Täuschung hereinfallen, die Jan van Eyck und seinem Bruder Hubert gelungen ist, als sie in den 1430er-Jahren die Verkündigungsszene auf das Diptychon auf dem Genter Altar malten. Maria und der Erzengel Gabriel sind allein mithilfe von Grau-, Weiß- und Schwarztönen und den sich daraus ergebenden Falten- und Schattenwürfen sowie Spiegelungen so dreidimensional herausgearbeitet, dass sie wie Statuetten wirken, die vor Nischen stehen – ihre Sockel scheinen über den Rand zu ragen.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Der gesamte Artikel ist in der Ausgabe 05/2021 von P.M. History erschienen.

Sarah studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und Berlin. Auf ihrem Weg zum Schreiben machte sie Halt bei Film und Fernsehen und im Marketing. Ihre Interessen liegen vor allem im Tierschutz, dem Feminismus und in der Kunst – und natürlich im Entdecken von spannenden Geschichten.