Kurz gesagt machen Hitzewellen Gesunde groggy und Kranke kränker – ganz besonders in Großstädten. Grund dafür ist der urbane Effekt der Hitze-Inseln. Beton und Asphalt speichern die Wärme des Tages wie ein Backofen und geben sie nachts nicht mehr ab. Wo weder Wind noch Vegetation für Abkühlung sorgen, kann es bis zu zehn Grad heißer werden als in locker bebauten, grünen Quartieren. Statt 28 Grad Celsius herrschen dort dann 38 Grad Celsius – ein gravierender Unterschied. Denn mit der Hitze steigt auch die Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid, Ozon, Feinstaub. »Diese Doppelbelastung bringt viele Städter an ihre körperlichen Grenzen«, sagt die Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmann.
Warum? Weil diese Grenzen ohnehin ziemlich eng gesteckt sind. »Der Mensch funktioniert nur bei einer Körperkerntemperatur zwischen 36 und 37,5 Grad Celsius optimal«, erklärt Hanns-Christian Gunga. Als Extremmediziner an der Berliner Charité betreut er normalerweise Leute, die in Bergwerken oder Wüsten arbeiten. Mit der Klimakrise ist sein Wissen alltagsrelevant geworden. »Schon ab 38,2 Grad Körpertemperatur sind wir körperlich, geistig und motorisch nicht mehr fit«, sagt Gunga. Spätestens bei 43 Grad verlieren die Proteine in unserem Körper Form und Funktion. »Bei Hitze sind unsere physiologischen Steuerungssysteme daher permanent damit beschäftigt, die Normaltemperatur zu halten.«
Schwitzen ist nur der finale Clou
Schwitzen ist dabei nur der finale Clou. »Das Entscheidende passiert im Kopf«, weiß Gunga, »nämlich im Hypothalamus.« Diese Hirnregion bildet die Schaltstelle zwischen Nervensystem und Hormonhaushalt. Wie die Zentralsteuerung einer Heizung fragt sie permanent Sensoren im Körperinneren und an der Haut ab und vergleicht Soll- und Istwert. Wird der Körper zu warm, entsendet der Hypothalamus Botenstoffe, die die Hautgefäße erweitern. Das Herz pumpt das Blut von den inneren Organen in Richtung Körperhülle, wo die Temperatur niedriger ist. »Über Hals und Kopf geben wir ein Drittel unserer Wärmemenge ab«, so der Charité-Experte. Auch die Hände spielen eine wichtige Rolle. Den Effekt kennen wir alle: Das Gesicht rötet sich, die Adern schwellen an, die Hände werden dick.
Wenn das nicht ausreicht, aktiviert der Hypothalamus die Hautporen. Sie öffnen sich und sondern Flüssigkeit ab: Schweiß. Der verdunstet und kühlt so die Haut samt den nahen Blutgefäßen ab. Bei trockenheißer Luft funktioniert das deutlich besser als bei tropischer Schwüle. Ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch, tropft der Schweiß nur herunter, ohne zu kühlen. Außerdem braucht der Körper genügend Flüssigkeitsreserven. Funktioniert das Schwitzen nicht, etwa weil man zu wenig getrunken hat, heizt er weiter auf. Und baut ab. Wie stark, hängt von individuellen Faktoren ab: vor allem vom Alter, aber auch von der allgemeinen Fitness, möglichen Vorerkrankungen und der Herkunft – Sizilianer beispielsweise vertragen hohe Temperaturen gemeinhin besser als Finnen.
Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt ist während einer Hitzewelle höher
Schon bei Ungeborenen kann Hitze Schaden anrichten, das zeigt die Auswertung von mehr als 70 epidemiologischen Studien. Die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt ist während einer Hitzewelle um das 1,16-Fache höher. Warum das so ist, ist eine der vielen offenen Forschungsfragen zum Thema
Kinder haben bis zu einem Alter von etwa vier Jahren ein ungünstiges Verhältnis von Körpermasse zu Körperoberfläche. Ihr Kreislauf muss zur Wärmeableitung mehr arbeiten, doch weder die beteiligten Organe noch die Schweißproduktion sind dafür ausreichend entwickelt. Auf Hitzestress reagieren Babys daher schnell mit einem knallroten Kopf, verzweifeltem Gebrüll, schließlich Apathie. An heißen Tagen sollten sie daher unbedingt im Kühlen bleiben und viel trinken. Kinder allein im Auto sitzen zu lassen kann zu einem lebensgefährlichen Hitzschlag führen: In der Sonne heizt sich ein Auto bei einer Außentemperatur von 20 Grad in unter einer halben Stunde auf 36 Grad auf.
Mehrere Liter pro Tag trinken
Auch Erwachsenen rät Hanns-Christian Gunga, mehrere Liter pro Tag zu trinken, um Hitzekrämpfen oder gar einer Hitzeerschöpfung vorzubeugen – der Begriff »Sonnenstich« verharmlost, dass in diesem Stadium das zentrale Nervensystem bis in die Hirnhäute gereizt oder sogar entzündet ist. Kaum vermeiden lässt sich indes, dass an heißen Tagen unsere Produktivität rapide abfällt. Schließlich kann Blut, das durch die Körperhülle rauscht, um uns abzukühlen, nicht gleichzeitig die Muskeln und den Denkapparat in Schwung halten.
Vorerkrankte und Senioren sind am verwundbarsten. »Wenn jemand Luftnot hat, hat er bei Hitze mehr Luftnot«, sagt Charité-Professor Christian Witt. »Patienten mit Lungenkrankheiten husten häufiger, weil die Bronchien sich zusammenziehen und die Lungengefäße weiter gestellt werden. Patienten mit Herzschwäche sind besonders schnell erschöpft.«
Auch bei anderen Erkrankungen verschlimmere Hitze die Symptome, ergänzt Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann, »bei Diabetikern etwa, bei Menschen mit multipler Sklerose, kranken Nieren, Adipositas oder Neurodermitis, Demenz oder Schizophrenie«. Selbst topfitte Senioren müssen vorsichtig sein. Denn im Alter funktioniert die gesamte Thermoregulierung nicht mehr richtig, inklusive Schwitzen. Die Nieren sind nicht mehr in der Lage, den Harn ausreichend zu konzentrieren, und scheiden Flüssigkeit aus, die der Körper dringend zur Kühlung bräuchte.
Wenn der Körper kapituliert: Hitzekrampf, Hitzschlag und Co. kurz erklärt
Hitze und Flüssigkeitsmangel führen zu zunehmend ernsten Symptomen.
Der Hitzekrampf tritt in der Regel nachts auf, nach zwei, drei Tagen starker Hitze, und ist ein klares Zeichen für Flüssigkeits- und Elektrolytmangel. Dann sollte man unbedingt trinken, am besten Wasser mit vielen Mineralien.
Beim akuten Hitzekollaps macht der Kreislauf schlapp. Das Herz schafft es dann nicht mehr, das Blut mit der nötigen Kraft durch die äußeren Gefäße zu pumpen, wo es Wärme abgibt. Die Folge sind oft Schwindel und Übelkeit. Gerade Kinder müssen nun sofort abgekühlt werden.
Die Hitze-Erschöpfung verharmlost der Volksmund gern als »Sonnenstich«. Schwere Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind klassische Symptome und Folge davon, dass bei zu großer Hitze zu viel Sonne auf den Kopf geschienen hat. Das zentrale Nervensystem ist gereizt oder sogar entzündet. Bis der Körper sich von dieser Erkrankung erholt, können Tage vergehen.
Beim Hitzschlag ist die Hitze-Erschöpfung so gravierend, dass die Wärmeregulierung des Hypothalamus gestört wird. Die Betroffenen schwitzen oft nicht mehr, ihre Haut ist rot und heiß. Die Körpertemperatur steigt auf über 40 Grad. Gelingt es nicht, sie schnellstens zu senken, bricht der Kreislauf zusammen, und lebenswichtige Organe versagen. Jeder Zehnte überlebt den Hitzschlag nicht.
Zu den heißen Temperaturen kommt nun auch noch eine Gräserallergie. Was tun, wenn die Nase läuft und die Augen jucken?
Autorin: Katja Trippel