Energie ist im Winter ein kostbares Gut. Daher gibt es im Tierreich zahlreiche Methoden, Kräfte zu sparen – etwa den Winterschlaf oder die Winterstarre. Was aber macht ein Tier, das rund ums Jahr aktiv ist und seinen Stoffwechsel nicht drosseln kann? Der Europäische Maulwurf kennt weder Winterruhe, noch frisst er sich Fettreserven an.
Stattdessen nutzt er eine ungewöhnliche Strategie, der kalten Jahreszeit zu trotzen. Er schrumpft zu Winterbeginn sein Gehirn um etwa elf Prozent, reduziert sogar die Größe seines Schädels. Da Säugetiergehirne enorme Energiefresser sind, ist diese Methode ziemlich effektiv. So werden Kräfte frei, zum Beispiel für die anstrengenden Tunnelbaue, die der Maulwurf auch im Winter vorantreibt. Steigen im Frühling die Temperaturen, kann er den Schrumpfungsprozess rückgängig machen: Sein Schädel wächst wieder, das Hirn ebenfalls – allerdings nur um vier Prozent. Die Größe aus dem Vorjahr wird nicht mehr erreicht. So seltsam diese Energiesparmaßnahme auch anmuten mag – der Maulwurf nutzt sie nicht allein.
Auch Hermeline, Mauswiesel und eine Spitzmausart verändern die Größe ihres Gehirns. Der sogenannte Dehnel-Effekt ist ein faszinierendes Beispiel für phänotypische Plastizität bei Kleinsäugetieren, der eine reversible Veränderung der Körpergröße in Reaktion auf saisonale Schwankungen beschreibt. Es handelt sich um ein adaptives Merkmal, das vor allem bei Arten vorkommt, die extremen jahreszeitlichen Veränderungen ihrer Lebensräume ausgesetzt sind. Benannt nach dem polnischen Zoologen August Dehnel, der das Phänomen in den 1950er Jahren erstmals beschrieben hat, manifestiert sich der Effekt in einer Reduktion verschiedener Körperdimensionen während des Winters gefolgt von einem erneuten Wachstum im Frühling.
Der Maulwurf lässt sein Gehirn im Winter schrumpfen
Die genauen Mechanismen hinter dem Dehnel-Effekt sind noch Gegenstand der Forschung, jedoch wird davon ausgegangen, dass hormonelle Faktoren wie zirkulierendes Melatonin, welches durch Photoperiode reguliert wird, eine bedeutende Rolle spielen. Während der Wintermonate führen kürzere Tageslichtperioden zu einer erhöhten Melatoninproduktion, welche das Knochenwachstum und möglicherweise auch andere metabolische Prozesse beeinflusst. Eine Reduktion der Körpergröße kann dazu beitragen, den Gesamtenergiebedarf des Organismus zu senken, indem eine geringere Körperoberfläche den Wärmeverlust reduziert und damit die Homöostase bei begrenzten Ressourcen unterstützt wird.
Bei Maulwürfen, die sich vorwiegend grabend fortbewegen und auf die Verfügbarkeit im Boden lebender Wirbellosen angewiesen sind, erleichtert eine verminderte Körperlänge das Navigieren durch das Tunnelsystem und reduziert den erforderlichen Energieaufwand, wenn der Boden gefroren und damit schwieriger zu bearbeiten ist.
Ein Team um Dina Dechmann vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz wollte wissen, ob es Unterschiede zwischen Lebensregionen gibt. Für ihre Studie verglichen die Forschenden deshalb einige Schädel zweier Maulwurfsarten, die aus Museumsbeständen stammten. Beim Bewohner der kälteren Regionen, dem Europäischen Maulwurf, konnten sie den Dehnel-Effekt nachweisen, nicht aber beim Iberischen Maulwurf, der in Spanien und Portugal lebt. Dessen Schädel verändert sich das ganze Jahr über nicht. Das lässt den Schluss zu, so das Team, dass es vor allem die Winterkälte ist, die den Schrumpfungsprozess einleitet, nicht der Nahrungsmangel. Denn Iberische Maulwürfe haben ihre karge Zeit im Sommer, wenn Dürre und Hitze für Futtermangel sorgen.
Relevanz und Forschungsperspektiven
Das Verständnis des Dehnel-Effekts gewinnt nicht nur in der Grundsatzforschung, sondern auch im Bereich des Naturschutzes an Bedeutung. Kleinsäuger wie der Europäische Maulwurf sind für Ökosystemdienstleistungen wie die Bodenaeration und die Kontrolle von Schädlingen verantwortlich. Der Erhalt ihrer Populationsdynamik und Ökophysiologie unter sich ändernden Umweltbedingungen ist essenziell für die Aufrechterhaltung der biologischen Diversität und Funktionalität von Lebensräumen.
Weitere Forschungen, insbesondere Langzeitstudien im Feld und experimentelle Ansätze unter kontrollierten Bedingungen, sind erforderlich, um die physiologischen und molekularen Grundlagen des Dehnel-Effekts zu entschlüsseln. Durch die zunehmende Beeinflussung von Habitatstrukturen durch den Menschen und den voranschreitenden Klimawandel wird es zudem immer wichtiger, die Auswirkungen dieser Faktoren auf die saisonale Plastizität und die damit verbundenen Adaptationsstrategien von Säugetieren zu verstehen.
Steckbrief: Europäischer Maulwurf (Talpa europaea)
- Klasse: Säugetiere (Mammalia)
- Ordnung: Insektenfresser (Eulipotyphla)
- Familie: Maulwürfe (Talpidae)
- Gattung: Talpa
- Art: Europäischer Maulwurf
- Körperlänge: Männchen ca. 16 cm, Weibchen etwas kleiner
- Schwanzlänge: Etwa 2,5 bis 4 cm
- Gewicht: 70 bis 130 g, Männchen in der Regel schwerer als Weibchen
- Fellfarbe: Meist einheitlich schwarz oder dunkelgrau, seidig und wasserabweisend
- Besondere Merkmale: Kräftige Vorderbeine mit großen Grabklauen, kegelförmiger Körper, sehr kleine Augen und Ohren, spitze Schnauze